Risse in allen Fassaden

ELEGANZ Anekdotenhaft und sehr schwungvoll: der Roman „Eine gute Schule“ des US-amerikanischen Schriftstellers Richard Yates

Auch Grove hat ein Auge auf die fesche Tochter des Lehrers Stone geworfen

Das Werk des lange verkannten Richard Yates, der 1992 in einem Alter starb, das andere erst für einen neuen Lebensbeginn halten, nämlich mit 66 Jahren, ist recht schmal, und ein Durchbruch war ihm zeit seines Lebens nicht vergönnt.

Weder wurde er so schlagartig berühmt wie sein Bewunderer Philip Roth, noch konnte er Publikum und Kritik so auf sich vereinen wie der Nobelpreisträger Saul Bellow. Am ehesten vergleichen lässt sich Yates – sein erster und vermutlich bester Roman, „Revolutionary Road“ (dt. „Zeit des Aufruhrs“, verfilmt mit Kate Winslet und Leonardo DiCaprio, erschien 1961) – mit dem früh verstummten J. D. Salinger oder dem ebenso wie Yates dem Alkohol zugeneigten John Cheever: beide Schüler der Eleganz, nordamerikanische Musterschriftsteller aus der Babyboomer-Generation, genaue Beobachter der Verhältnisse der goldenen sechziger Jahre, ohne die neumodischen Sperenzchen der Beat-Generation.

„Eine gute Schule“, zuerst 1978 erschienen, ist ein später und weithin erfolgloser Roman von Yates. Er beschreibt ein Internat an der Ostküste während des Zweiten Weltkriegs, der hier allerdings nur eine Art Hintergrundrauschen ist. Internat, Isolation, Merkwürdigkeitsgefühle: Die Dorset Academy ist keine normale, sondern eine privat finanzierte Schule für Jungen, die um ihre gesellschaftliche Anerkennung erst noch kämpfen muss. Ein Internatsroman also wie „Törleß“ von Musil oder „Demian“ von Hesse: Die Problematiken sind bekannt. Es herrschen untergründige Gewalt, unterdrückte Sexualität, eine Hierarchie von Typen: Streber, Mitläufer, Sonderlinge und Helden.

Die Hauptfigur, William „Bill“ Grove, ist ein Sonderling, der zunächst einem sexuellen Übergriff seitens der Stärkeren unterliegt, sich dann aber mit seinem Posten in der Schülerzeitung hocharbeitet. Am Ende ist er immer noch seltsam, aber anerkannt: Chefredakteur. Der einfühlsame Erzähler beobachtet das Geschehen, Yates schafft es, eine sanfte Montagetechnik zu entwickeln, um nicht nur die Hauptfigur Grove, sondern auch die Figuren um ihn herum leuchten zu lassen. So wird die Geschichte des poliokranken Jack Draper erzählt, der von seiner Frau mit dem Französischlehrer betrogen wird; es wird die Geschichte der Familie Stone erzählt, einschließlich der Tochter Edith, die sich zuerst in den baldigen Absolventen Larry Gaines verliebt, mit ihm schläft und ihn dann mehr oder weniger in den Krieg ziehen lassen muss – dabei ist Gaines kein einfacher Soldat, sondern Seemann auf einem Frachttanker, der immerhin im Auftrag der Marine unterwegs ist. Trotzdem wird er am Ende als Zinksarginhalt zurück in die Heimat verschifft, was bei Edith eine anhaltende Depression auslöst, über die sie sich schließlich mit Sedativa hinwegzutrösten versucht. Auch Grove hat ein Auge auf die fesche Tochter des Lehrers Stone geworfen, ihn nimmt sie auch wahr, den seltsamen Außenseiter.

Und Grove bleibt auch lieber bei der Zeitung, beim Schreiben, das er sukzessive für sich entdeckt. „Eine gute Schule“ ist nämlich auch das: das Porträt des Schriftstellers als junger Schülerzeitungsredakteur. Und der Chronicle ist eine gute Schule.

Der Roman ist durchaus autobiografisch zu lesen – tatsächlich verhält sich der Epilog zur Geschichte in diesem Punkt recht eindeutig. Ansonsten wird eine unausgeführte Liebesgeschichte angedeutet, das Verhältnis von Grove zu seiner Umwelt – Risse in allen „normalen“ Fassaden – geschildert. Es gibt Alkoholabusus, Gewalt, Ehebrüche, Sentiment, Krankheit, Verfall; aber eben auch Freundschaft, Begeisterung, Hoffnung. Die Schule muss am Ende schließen – sie rentiert sich nicht.

Vielleicht sind die Geschichten zu anekdotenhaft, aber das muss man diesem Roman in jedem Fall zugutehalten: Der Stil ist verdammt elegant. Ein schwungvolles, so gesehen perfektes Erzählen (die Übersetzung des Salinger-Übersetzers Eike Schönfeld ist wie immer kongenial), das sich traut, die Perspektiven zu wechseln, um ein Panorama abzubilden. Eine sehr gute Schule der Eleganz. RENÉ HAMANN

Richard Yates: „Eine gute Schule“. Aus dem Englischen von Eike Schönfeld. DVA, München 2012, 240 Seiten, 19,99 Euro