wortwechsel
: „Die Impfung“ gibt’s nicht – aber Forschungslücken

Wie rational sind die Argumente von Impfgegnern? Warum fehlen Forschungsgelder für Langzeitstudien? Und können Impfstoffe Krankheitszyklen zu unserem Nachteil verändern?

Viele Kinderkrankheiten kann der richtige Impfstoff verhindern. Bei Grippeimpfungen scheiden sich die Geister Foto: plainpicture

betr. „Die Impfung ist das kleinere Übel“, „Bitte nicht pieksen, ich habe Argumente im Rucksack“, taz vom 10./11. 3. 18

Die Impfkommission

Ich bin selbst alles andere als ein Impfgegner – in unserer hausärztlichen Praxis achten wir sehr sorgfältig darauf, dass allen PatientInnen die für sie passenden Impfungen angeboten werden. Zugleich akzeptieren wir es selbstverständlich, wenn jemand nicht geimpft werden möchte. Den berechtigten Argumenten gegen eine Ablehnung der Impfung gegen Masern, Mumps und Röteln durch auch nach meiner Meinung fanatische und rationalen Argumenten oft nicht zugängliche Impfgegner wird aber eine affirmative Haltung der Impfkommission der deutschen Ärzteschaft (StIKO) suggestiv hinzugefügt. Die StIKO-Empfehlungen sind durchaus nicht alle rational und mit guter Evidenz belegt und begründet. Beispiel: Empfehlungen zur Pneumokokken-Impfung für Risiko-Personen, zur HPV-Impfung und zu Impfungen gegen Windpocken und Meningokokken. Auch die Empfehlungen zur Grippeimpfung sind kein Ruhmesblatt für die StIKO. Ein Blick auf die Impfkalender anderer europäischer Länder zeigt, wie groß die Spannbreite der Empfehlungen ist. In einigen Ländern wird nie mehr gegen Tetanus und Diphtherie geimpft, wenn die Grund-Immunisierung abgeschlossen ist. Hier sind die Argumente zur Nutzen-Schadens-Bilanz der hierzulande empfohlenen Auffrischungen alle 10 Jahre mehr als dünn. Günther Egidi, Bremen

Umfassende Aufklärung

Ende Februar fand in Berlin der Kongress „Impfen: Selbstbestimmung oder Bürgerpflicht?“ statt, veranstaltet vom Bürger- und Patientenverband „Gesundheit aktiv“ und den „Ärzten für individuelle Impfentscheidung“. Die in Ihren Artikeln erwähnten polemischen Konnotationen von Alltagsspiritualität, Wissenschaftsskepsis und Delegitimationsstategien, die rechten Argumentationsmustern ähnelten, wurden dort nachhaltig widerlegt. Die Vertreter der impfkritischen Ärzteschaft waren sich einig, dass Impfungen in der Medizingeschichte segensreich waren, man aber keinesfalls pauschal von „den Impfungen“ sprechen kann, da die derzeit von der STIKO (Ständige Impfkommission) empfohlenen Impfungen gegen 15 Krank­heiten sehr unterschiedlich eingreifen und wirken. Wir wissen viel zu wenig über die langfristigen Auswirkungen von Impfprogrammen auf die Ausbreitung und Veränderungen von Krankheiten, greifen aber nachhaltig in diese ein. Für die Windpocken-Impfung wird sogar offiziell angenommen, dass für die nächsten 50 Jahre zwar insgesamt weniger, aber zunächst mehr Erkrankungen mit erheblichen Komplikationen in höheren Lebensaltern auftreten werden. Derartige Forschungen sind aufgrund dramatischer Unterfinanzierung der STIKO in viel zu geringem Maße möglich, und eine differenzierte Impfstrategie ist zurzeit nicht machbar aufgrund der Marktstrategie der Hersteller, die fast keine Einzelimpfstoffe mehr herstellen. Markus Wegner, Freiburg

Langzeitforschung

Trotz einer Riesenzahl von Untersuchungen besteht ein Mangel an wirklich validem Langzeitwissen. Unklar sind auch die Veränderungen künftiger Epidemien in Jahrzehnten. Bestimmte Krankheiten werden zwar impfbedingt seltener, es sind aber ernstere Krankheitsverläufe in höheren ungünstigeren Lebensaltern zu erwarten, zum Beispiel für Windpocken. Gerade eine Ständige Impfkommission (STIKO) müsste über Geldmittel verfügen, um solche Studien zu initiieren. Derzeit entstehen die meisten Impfstudien auf der Welt im Zusammenhang mit den Herstellern der Impfstoffe.

Es geht um sachlich begründete Entscheidungen. Diese zu fällen ist die Aufgabe der Eltern. Dazu müssen sie aber entsprechend informiert sein, was sehr viel Zeit seitens des Arztes braucht. Diese Beratung muss natürlich auch das soziale Umfeld einbeziehen. Nicht die Impfgegner sind das Problem, sondern unsere wissenschaftliche Unkenntnis über die Auswirkung von Impfungen. Vielleicht kann die taz zu einer dem sonstigen Niveau dieser Zeitschrift entsprechenden kritischen Ausgewogenheit auch hinsichtlich der Impfungen finden.

Karl-Reinhard Kummer, Berlin

Märchenstunde

betr. „Abtreibungen: Dann klären wir mal auf“, taz vom 12. 3. 18

Die Zahl der Schwangerschaftsabbrüche ist also gestiegen und hat die magische Schwelle von 100.000 im Jahr 2017 überstiegen. Die Gründe dahinter seien laut dem Bundesverband der Frauenärzte die rezeptfreien Pillen danach, ein leider erfolgloser Prozess gegen den Großkonzern Bayer und, die schönste aller Begründungen: Zyklus-Apps!

Es hört sich an wie in einer Märchenstunde, bei der das kleine naive Rotkäppchen dem bösen Wolf der Zyklus-App auf den Leim geht. Frauen sind nicht blöd und wissen sehr wohl, wie man verhütet! Selbst wenn die Zahl der Pille-Einnehmerinnen gesunken ist, heißt das nicht, dass sich all die Fruchtbaren nur noch auf ihr Smartphone verlassen – und, wenn es daneben liegt, leichtfertig abtreiben. Diese Argumentation ist ein Schlag ins Gesicht jeder jungen Frau, die sich über ihren Kinderwunsch/-nichtwunsch Gedanken macht. Kinderkriegen ist in Deutschland schlichtweg nicht attraktiv, um es mal beschönigt auszudrücken.

Frauen geraten nach dem ersten Kind aufs berufliche Abstellgleis, sie bekommen keine Kita-Plätze und werden sozial diffamiert, wenn sie sich entscheiden Vollzeit arbeiten zu gehen.

All die Frauen, die sich beruflich verwirklichen möchten und nicht nur die „Teilzeit-Mutti auf Lebenszeit mit mickriger Rente“ sein wollen, zögern mit dem Kinderkriegen und entscheiden sich schließlich (oftmals sogar entgegen ihrem inneren Gefühl) gegen ein Kind und für einen Schwangerschaftsabbruch. Das sind die Gründe der hohen Zahl an Schwangerschaftsabbrüchen.

Diese Zahl auf eine App zu schieben ist weltfremd und stellt die Frau als Smartphone-abhängiges Dummerchen dar. Politisch ist dies aber sicher die bequemste Begründung, um gesellschaftlich rein gar nichts ändern zu müssen.

Sarah Meyers, Berlin