Jan Jekal
Ausgehen und rumstehen
: Eine Liste von Dingen, die es nicht gibt

Es gibt ein indisches Restaurant im Bergmannkiez, da bin ich so häufig, dass sie mich „Freund“ nennen. Ich gehöre zu den Leuten, die dem einmal gut Befundenen treu bleiben. Ich esse dort also seit drei Jahren dasselbe Gericht. In der Speisekarte hat dieses Gericht die Worte „Taj“ und „Mahal“ im Namen. Das Restaurant ist also nicht das, was man „authentisch“ nennen würde. Die Liste der Geschmacksverstärker liest sich wohl wie ein Gedicht. Es ist eines dieser indischen Restaurants mit einer Happy Hour, die einen dazu zwingt, das Konzept „Stunde“ noch einmal völlig neu zu denken. Es ist nicht Systemgastronomie, aber es ist verdammt nah dran. Und überhaupt ist mir Authentizität nicht so wichtig wie Geschmack.

Als ich neulich mit meiner Freundin dort war, sagte ich ihr, sie solle mal dieses eine Stück Gemüse im Salat probieren, das würde ganz fantastisch schmecken, so etwas habe ich noch nie gegessen, ich hörte gar nicht mehr auf, dieses mysteriöse Gemüse zu loben, da wies sie mich darauf hin, dass es sich bei dem mir Unidentifizierbaren um ein Stück Zwiebel handelte. Die war halt eingelegt. Aber trotzdem. Eine kleine Entzauberung. Ich meine, dass die Zwiebel besser und aufregender geschmeckt hatte, als ich noch nicht wusste, dass es sich um eine Zwiebel handelte. So ist das wohl mit allem.

Seit einiger Zeit gehen wir regelmäßig frühstücken. Früher habe ich das Frühstück übersprungen, mittlerweile zelebriere ich es. In Berlin kann man gut frühstücken. In Neukölln, zum Beispiel. Für die meisten Nicht-Berliner ist Neukölln wohl noch immer mit Schulkindern assoziiert, die aus Klassenzimmerfenstern grölen und den unten versammelten Reportern Mülleimer entgegenwerfen, oder mit kriminellen Clans, die Geldwäsche-Shisha-Bars betreiben. Diese Nicht-Berliner ahnen nicht, was für ein hervorragendes Frühstück man in Neukölln bekommt. Oder in Charlottenburg. In dem Restaurant, von dem ich gehört habe, dass es Jürgen Vogels Söhnen gehört. Ob das wohl stimmt? Aber der Laden sieht auf jeden Fall so aus, als würde er Jürgen Vogels Söhnen gehören.

Heute fahren wir aber in den Wedding, denn wir wollen nicht anstehen, und im Wedding muss man nicht anstehen. Überhaupt ist der Wedding ja im Kommen. Wir sind in einem Etablissement mit notdürftig verputzten Backsteinwänden, Neonröhren-Leuchtschriftzügen, englischer Speisekarte und Drucker in der Ecke, wohl für die ganzen jungen Kreativen, die hier Content generieren. Auf der Speisekarte ist gut die Hälfte mit Lineal durchgestrichen; sie ist also eine saubere Auflistung von Dingen, die es nicht gibt. Zum Geschäftsmodell scheint zu gehören, die Gäste sich cool und kulant fühlen zu lassen, in dem sie auf das verzichten, was sie eigentlich möchten, und großmütig die Alternative wählen. Als die Bedienung später an den Tisch zurückkehrt und fragt: „Was habt ihr noch mal bestellt?“, ist man sich selbst nicht sicher.

Ein Labor-Motiv wird hier angedeutet; Kaffeebohnen sind in Reagenzgläser gefüllt, und meinen Minztee schenke ich mir aus einem Art Erlenmeyerkolben ein. Der Lachsbagel schmeckt dann aber ausgezeichnet, das Rührei auch. Wir sollen uns wie zu Hause fühlen, wird uns mitgeteilt, und das klappt ganz gut, denn zu Hause räumt ja auch niemand das dreckige Geschirr ab. Den Lebensstandard unserer Eltern werden wir nicht halten, aber gefrühstückt haben wir wie Könige.