: Der Pazifik, das Cello und trunkene Bäume
Wie finden Tanz und Musik zueinander? Eine Choreografin und sechs Komponist_innen machen mit ihrem Projekt „Pacifico Exercises: desplazamiento“ am Wochenende im Acker Stadt Palast vor, wie anregend eine Ortsveränderung auf Zeit sein kann
Von Franziska Buhre
Bewegungen klingen, auch wenn keine Musik zu hören ist. Die Schritte auf dem Tanzteppich, die Schwünge mit den Armen, das rasche Umhergleiten in geduckter Haltung am Boden und nicht zuletzt die Atemgeräusche der Tanzenden geben einen Eindruck davon, wie eine Choreografie sich entfaltet. Dergleichen Anhaltspunkte sind in dem Experiment, welches das Verhältnis zwischen Tanz und Musik untersucht, zunächst ausgespart.
Die chilenische Choreografin Bernardita Villarroel, geboren 1984, ersann ein zehnminütiges Tanzstück für ein Trio mit den Tänzerinnen Elena Francalanci und Valentina Wong. Das stumme Video davon ist Ausgangspunkt für sechs Komponist_innen, die den Tanz mit ihrer Musik interpretieren. Woran kann sich also orientieren, wer die visuelle Aufzeichnung für Vertonungen nutzt?
Der Titel „Pacifico Exercises: desplazamiento“ geht auf ein laufendes Projekt zurück, in dem sich Villaroel und ihr Landsmann, der Komponist Marcos Meza, mit dem Pazifik auseinandersetzen. Wie die Tänzerinnen den Raum durchmessen, die aufrechte Körperachse beständig verschieben, kreiseln und von einer in die andere Richtung wogen, ließe sich unschwer mit der Brandung, dem Auf und Ab von Wellen und dem Wirbel der Meeresströmung assoziieren. „Mich hat die Qualität der Bewegungen interessiert,“ erzählt der Komponist Ferdinand Breil, der gemeinsam mit Villaroel und seinem Kollegen Sebastian Elikowski-Winkler die Aufführungen initiiert hat, im Gespräch. „Ich habe darauf geachtet, wie schnell oder langsam, fließend oder hastig die Bewegungen sind, wo sich die Tänzerinnen im Raum befinden, ob sie synchron tanzen oder ihre eigenen Partien. Damit kann jeder der Komponist_innen anders umgehen. Ich generiere elektronische Klänge live mit dem Cello. So kann ich im Wechselspiel auf den Tanz eingehen.“
Die Choreografie beginnt und endet ähnlich. So kann sie direkt wiederholt werden, innerhalb einer Stunde also sechs Mal. Aus dem Loop von Komposition zu Komposition entsteht aber auch ein großer Bogen, innerhalb dessen die Instrumente eine Verbindung knüpfen und die Wiederholungen des Tanzes ineinandergreifen. Spannend wird sein zu sehen, welche Reihenfolge sich in den Proben ergeben hat und wie sie einbezieht, dass der Tanz einer physisch anspruchsvollen Choreografie sich mit jedem Mal etwas verändert. Ebenso lässt sich erleben, ob die Komponist_innen – so weit ihr Spektrum zwischen Neuer Musik, Ambient und transdisziplinären Performances reicht – ähnliche Lösungen für das Tanzstück finden, das man mit jedem Mal genauer kennenlernt.
Das Cello erklingt drei Mal, in den musikalischen Facetten verschiedener Urheber. Neben Breil schreibt und performt Aziz Lewandowski, Jahrgang 1987, ein Stück für Cello Solo, Sebastian Elikowski-Winkler eines für Cello und elektronisches Zuspiel. Marcos Meza führt sein elektronisches Stück live auf und verwendet dabei Klavier-Aufnahmen.
Seine Landsfrau Emiliana Araya hingegen sandte ihre Version der Produktion per Datenstrom. Die Sängerin, Komponistin und Produzentin wurde 1983 in Santiago de Chile geboren und ist nach einigen Studien und Touren dorthin zurückgekehrt. Sie hat Erfahrungen gesammelt als Schauspielerin, Tänzerin und mit Martial Arts. Insofern kommt ihr Stück in seiner Physis den Tänzerinnen möglicherweise entgegen. Arayas Musik ist zudem von Soul, Drum ’n’ Bass und Hip-Hop beeinflusst, ihren Gesang reichert sie mit mit gebrochenen Rhythmen an.
Ein Mahnruf aus der Großstadt
Die Komponistin Stepha Schweiger begreift ihre elektronische Collage als viertes Element der Choreografie: „Ich möchte, dass die Tänzerinnen unabhängig voneinander auf die Musik reagieren können. Mir widerstrebt die Idee, dass Tänzer Sklaven der Musik sind. Ich biete eine Oberfläche an, die etwas ausstrahlt. Daraus kann dann etwas im Moment entstehen.“ Schweigers Stück schöpft aus zwei Ressourcen, die mit dem Tanz sinnbildlich in Einklang gebracht werden. „Ich habe Maschinenrhythmen wieder neu für mich entdeckt und arbeite mit Aufnahmen aus Fabriken. Die Geräusche einer Druckerei, die auf Papier druckt, haben mich sehr beeindruckt, die haben so einen tollen gegenläufigen Beat. Für mich ist das der industrielle Gegenpol zur Natur, wie ein Mahnruf aus der Großstadt.“
Diesen Mahnruf hat Schweiger zurückverfolgt bis zum Ursprung des Papiers und sich intensiv mit dem Ökosystem Wald auseinandergesetzt. Ihr Stück heißt „Drunken trees“ – ein Phänomen, das in den Permafrostzonen der Nordkontinente zu beobachten ist. Wenn der Boden dort auftaut, verlieren die Bäume ihre Standfestigkeit und die Wurzeln finden nur mäßigen Halt. Daher neigen sich die Stämme in alle möglichen Richtungen und durch den Klimawandel bedingt bestehen mehr und mehr Wälder aus „trunkenen Bäumen“. „Wir wissen gar nicht, was mit dem Klimawandel auf uns zukommt“, meint Schweiger nachdenklich. „Bäume sind ja sehr soziale Wesen, das beschäftigt mich. Ich möchte, dass die Klänge, die ich generiere, das System Wald darstellen, und zwar unter der Erde.“ Mit den aus dem Lot gebrachten Achsen der Bäume schließt sich auch wieder der Kreis zu den Tänzerinnen.
„Desplazamiento“ öffnet Assoziationsräume, ob über den Seegang des Pazifik, schiefe Wälder oder zur Frage, ob Tanz und Musik aus einem ähnlichem Holz geschnitzt sind wie ein Cello und Papier.
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