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Kolumne HenningwayOhne Spinner keine Veränderung

Kolumne
von Henning Harnisch

Zu wenige Trainer, zu wenige Organisatoren und Nachwuchs fehlt auch: Warum sich gute Ideen im Vereinssport nicht durchsetzen.

Hier lernen sie garantiert rückwärts laufen: Kinder und Eltern beim Bambini Sport in Berlin Foto: dpa

W arum können Kinder nicht mehr rückwärts laufen, wenn sie eingeschult werden? Ist das ein neues Naturgesetz? Und wieso hören so viele Jugendliche mit dem Sporttreiben im Verein auf, also dann, wenn sie es am nötigsten hätten? Liegt das an den Sportarten, sind die nicht gut genug? Und warum heißt die „Sportschau“ am Samstag Sportschau, wenn dort ausschließlich Fußball zu sehen ist?

Fragen sind die Grundvoraussetzung für Veränderung. Auf Fragen folgt die Analyse und auf die Analyse folgen die Ideen, die zu Taten führen. Wie entstehen Ideen im Sport und wie wird aus diesen Ideen etwas Neues? Ideen entstehen nicht im luftleeren Raum. Es sind Leute vonnöten, die den Sport kritisch unter die Lupe nehmen und frische Lösungen ins Leben rufen. Und die sich letztlich daran messen lassen, dass diese auch etwas taugen.

Kein Job für jedermann, denn Menschen mit einer neuen Idee, so sagte es Mark Twain einmal, gelten so lange als Spinner, bis sich eine Sache durchgesetzt hat. Welcher Spinner entwickelt neue Bundesjugendspiele? Und wie sähe ein von einem anderen Spinner gebauter „Trimm-dich-Pfad“ des 21. Jahrhunderts aus? Wie sähe generell eine Zukunft des Sports aus?

Für den Landessportbund Niedersachsen sind wir unterwegs, um mit Vereinsvertretern über ebendiese Fragen zur Zukunft von Sportvereinen zu diskutieren. Wir fahren auf unserem Roadtrip Peine, Hameln, Emden und Oldenburg ab und sitzen frühabends bei Wasser und Kaffee in Vereinsheimen und Bürgerhäusern. Die Bilder gleichen sich: Nicht mehr ganz so junge Vereinsleiter halten ihre Region und ihren Sport, vom Fußball bis zum Reiten, schon immer und ewig am Laufen.

Zu wenig Trainer und Nachwuchs

Und nun wissen diese Helden des Ehrenamts nicht mehr, wie es weitergehen soll mit ihren Vereinen. Zu wenig Trainer, Organisatoren und Nachwuchs, ein genereller Mangel an allem herrscht allerorten. Ihnen fehlen die Ideen, um das zu ändern. Und so singen sie stattdessen Abend für Abend zusammen den Sportblues, dadadadadam!

Im Prinzip folgt das politische Miteinander im deutschen Sportsystem perfekt den Regeln der Demokratie: Hat jemand eine gute Idee, muss diese nur mehrheitsfähig werden, dann wird sie ins System eingespeist. Ein gewähltes Präsidium vertritt auf jeder Ebene die Interessen der einzelnen Mitglieder. Im Prinzip. Denn warum sprechen die Vereinsvertreter vom „Verband“, von denen da (oben), wenn es mal wieder nicht weitergeht – obwohl sie doch selbst „der Verband“, also die da sind?

Henning Harnisch

Henning Harnisch ist ehemaliger Basketballnationalspieler und Vizepräsident des Bundesligisten Alba Berlin. Er schreibt künftig jeden zweiten Donnerstag im Monat für die Printausgabe über die Bereiche Kultur, Sport und Pädagogik.

Und warum verweisen die gewählten Funktionäre zum jeweiligen Organ eine Stufe tiefer respektive zum Ende der Fahnenstange, zum einzelnen Mitglied, wenn richtungsweisende Initiativen gefragt sind? Man könnte das ein System nennen, das für wechselseitig wirksame Verhinderung von zukunftsweisender Handlung sorgt. Anders gesagt: Zukunftsweisende Ideen generiert dieses geschlossene System gemeinhin nicht.

Kein Mensch blickt durch bei der Spitzensportreform

In Deutschland ist vom Deutschen Olympischen Sportbund (DOSB) und vom Bundesinnenministerium eine Spitzensportreform beschlossen worden. Fast kein Mensch blickt durch, was es damit wirklich auf sich hat. Eins ist immerhin klar: Unter dem Namen PotAs (Potenzialanalyse) werden sogenannte Attribute gesammelt, die bei der Entscheidungsfindung helfen sollen, welcher Sportler und welche Sportart in Zukunft an welchen Orten mit Geld und Infrastruktur gefördert werden sollen.

PotAs klingt wie die Kurzform von Pocahontas und hat viel mit Excel zu tun. Die Synthese davon spiegelt die Sehnsucht nach mehr Goldmedaillen oder nach der DDR wider, offeriert aber noch keine Idee, wie das in echt laufen soll. Fangen wir also ganz von vorne an: Warum können Kinder nicht mehr rückwärts laufen, wenn sie in die Schule kommen?

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3 Kommentare

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  • Tja Herr Hanisch - war auch mal irgendwo ganz vorne mit dabei!

    Rudermekka - Ratzeburg!

     

    Hab mich dann mal ne Weile wissenschaftlich mit

    Sport & Verfassung beschäftigt!

    &

    Eine Erkenntnis ist ja vllt auch Ihnen plausibel!

    Der Vereinssport heutiger Prägung ist eine dreiste

    Usurpierung des Sports in seinen vielfältigen

    Ausprägungen zuvor - durch den bürgerlichen Sport -

    Post WK II. Nothing else!

    &

    Diese ganze unbeweglich-ignorante - doch doch! Aber Hallo!

    Funktionärshuberei mit den evidenten - im eigenen sterilen

    Saft - schmorenden Folgen - sind die nur folgerichtige Quittung!

     

    kurz - Über Ihre Krokodilstränen kann ich - mit Verlaub - nur

    Lachen. Wenn's nicht so traurig wär!

    &

    Einer Fortstrickung dieses tiefkranken asozialen Systems -

    Wünsche ich alles schlechte!

  • Zitat: "Warum können Kinder nicht mehr rückwärts laufen, wenn sie in die Schule kommen?"

     

    Einfache Antwort: Weil ihnen niemand zeigt, dass man das tun kann und dabei auch noch Spaß haben.

     

    Die sogenannten Erwachsenen sind so mit ihrer eigenen Wichtigkeit beschäftigt, dass sie für Späße der einfachen Art keine Kapazitäten haben. Rückwärtslaufen ist ihnen zu "popelig".

     

    Jeder will höhere Weihen, auch für seine Kids. Die lernen eher Chinesisch in der Kita, als Rückwärtslaufen. Und zwar weil sich ihre Eltern mit den Kita-Leitungen einig sind: Wer Rückwärtslaufen übt statt chinesisch, muss später sicherlich mal "Basisarbeiten" verrichten. Das aber heißt, dass es (mindestens) einen Menschen gibt, der ihm befehlen darf. Einen, der selbst nicht basisarbeiten will, der aber genau weiß, dass Basisarbeit nötig ist. Und welcher freie Mensch will schon, dass seine Kinder (oder halt „Absolventen“) wildfremden Menschen gehorchen müssen? Ich meine: Wie sähe das denn aus? Und überhaupt: Man liebt ja seine Kinder!

     

    Scheiß also auf's Rückwärtslaufen. Wozu braucht man das überhaupt? Geht's nicht auch ohne? Klar geht’s ohne! Man selber geht ja schließlich auch seit Jahren schon nur noch Nase voran. Und zwar immer noch höher, weiter und ein bisschen schneller.