Uli Hannemann
Liebling der Massen
: Äußerst harte Arbeit füreinen lächerlichen Lohn

Och, guck mal. Menschen, die tief gebückt in den Reisfeldern stehen und arbeiten. Knips. Wie malerisch. Die einheimische Bevölkerung bei den mühsamen Verrichtungen des Alltags. Knips. Nasse Füße, sengende Sonne, Rückenschmerzen, Schwielen an den Händen, Mücken. Knips, knips.

Es geht bergauf, der Zug fährt in eine langgestreckte Kurve. Knips. Am Hang direkt unter den Gleisen schuften Pflückerinnen und Pflücker in den Teeplantagen. Dasselbe wie im Reisfeld, nur ohne nasse Füße und mit Giftschlangen statt Mücken. Aber auch sehr malerisch. Knips, knips.

Sofort meldet sich mein waches Bewusstsein. Wie finden die wohl meine Knipserei aus dem Zugfenster heraus, sofern sie nicht längst zu erschöpft sind, um überhaupt noch irgendwas zu denken? Sie wissen ja nicht, dass ich einer von den Guten bin, die ihr eigenes Tun stets kritisch reflektieren und versuchen, sich in andere hineinzuversetzen: Wow, sind das arme Menschen! Wow, ist das eine Scheißackerei für einen Hungerlohn! Aber schöne Motive sind das natürlich schon. Ich wähle den größten Zoom, damit sie wenigstens nichts merken.

Sonst würde ich an ihrer Stelle sicher denken: Was für ein blödes Arschloch! Doch wahrscheinlich gingen sie mit Gleichmut darüber hinweg. Sie haben schon genug mit der Bewältigung ihres Alltags zu tun. Ich nehme mich zu wichtig.

Zwei Wochen später sitze ich bereits wieder am Schreibtisch und sortiere die Urlaubsbilder: mit Wasserbüffeln arbeitende Menschen, nicht verkehrssichere Busse, Lokomotiven aus den 50er Jahren. Ich finde das tatsächlich schön. Bloß der Haken an der Sache: Für die Leute ist es nicht schön. Die hätten lieber einen Trecker, einen ICE und hochmoderne Reisebusse.

So einer hält soeben vor meinem Haus. Rüstige Menschen in wasserfester Funktionskleidung steigen aus und machen Lockerungsübungen nach der langen Fahrt. Sie tragen Reiseführer in den Händen und Kameras um den Hals. Nur eine Minute später stehen sie bei mir im Zimmer. Die Tür ist offen, denn hier gibt es eh nichts zu klauen. Kameras klicken.

Der Guide hebt die Hand. Im Halbkreis lauschen die Leute. „Das ist äußerst harte Arbeit für einen lächerlichen Lohn“, erklärt er, „sehen Sie, wie er sich seine Texte selbst ausdenkt und mit zwei (!) Fingern in die Tastatur hackt. Wie er mit nichts als seinem nackten Gehirn so lange daran feilt, bis er den primitiven Rohtexten so etwas Ähnliches wie Sinn entringt.“

Die Reisegruppe staunt und er fährt fort: „Gucken Sie doch mal, was der für Klamotten trägt: C&A. H&M. Und trotzdem wirkt er zufrieden. Er kennt das ja nicht anders. Bewegen Sie sich achtsam. Erweisen wir ihm den Respekt, den er auch und gerade als armer Mensch verdient.“

Die Leute nicken mitleidig, während sie mich ablichten. Sie sind sanfte Touristen. Sie spenden an Ärzte ohne Grenzen und kaufen nicht bei C&A. Wenn sie in ein paar Wochen ihren Freunden zu Hause die Bilder zeigen, werden sie Polithülsen absondern wie: „Klar, war das komisch, den Mann dabei zu fotografieren. Aber auf der anderen Seite sollte man ja auch ruhig auf die Missstände hinweisen. Hier dieser arme Wicht, der sich als Clown auf Lesebühnen prostituiert oder für ein Almosen taz-Artikel schreibt. Dort die Wohlstandsbürger, die umsonst die Online-Ausgabe lesen.“

Traurig halte ich die Hand auf. „Geben Sie ihm nichts“, mahnt der Führer. „So helfen Sie ihm nicht. Er verlernt sonst, sich seinen Lebenserwerb durch ehrliche Arbeit zu verdienen.“ Einige Idioten, die bereits ihre Börsen gezuckt haben, stecken sie aufatmend wieder weg. Ich brumme böse. Dieser Scheißführer. Aber immerhin beginne ich zu verstehen.