: Zwischen Bebop und Bach
Nach 30 Jahren zeigt die Frankfurter Schirn wieder eine Einzelschau von Jean-Michel Basquiat: Rund 100 Werke bringen die Postmoderne auf den Punkt – copy, paste, create
Von Johanna Schmeller
Manhattan, 1981: Die Einwohnerzahl von New York ist über 7 Millionen geklettert. Arbeitslosigkeit und Kriminalität spalten die Stadt. Integrierte Pop-Strömungen wie Postpunk und No Wave wettern gegen die weiße Punkszene, die es eher nicht so mit der Blackmusic hatte und gegen die Konsumkultur einer Finanzindustrie, die die Metropole ergreift und verändert. Auf der Lower East Side entsteht eine Kunstszene, die auf rhythmisierte Wiederholungen setzt, auf Atonalität, auf den richtigen Beat. Atmosphäre geht über alles.
So auch in dem semidokumentarischen Spielfilm „Downtown 81“: Die Leute hätten sich abgewöhnt, Dinge zu wollen, die sie nicht haben können, schnarrt eine gelangweilte Männerstimme im Off, während Jean-Michel Basquiat in stoischer Unerschrockenheit dunkle Lettern an eine versehrte Backsteinmauer sprüht. Wer nur will, was er bekommen kann, ist halt happy. Happy hält die Welt stabil.
Diese müden Zeilen, mit denen „Downtown 81“ anfängt – ein Ritt durch einen Tag im Leben eines jungen Künstlers im New York der frühen Achtziger – empfangen Besucher jetzt in Frankfurt. Die dürren Sätze stehen allem entgegen, wofür Basquiat wenige Jahre nach den Dreharbeiten selbst stehen wird: postmodernistische Interpretationen von Einflüssen aus der Alltagskultur, in Kunstgalerien gerollte Autoreifen und Kühlschränke, Worte und Buchstaben als visuelle Waffen.
Zu dreist, um die Klappe zu halten
Für „Boom for Real“ holt die Schirn Jean-Michel Basquiat erstmals seit 30 Jahren wieder nach Deutschland, mit rund 100 ausgesuchten Werke. In der Londoner Barbican Art Gallery hat die Schau zuvor einen Rekord gesetzt: Über 215.000 Besucher haben die Retrospektive gesehen, allein am letzten Wochenende über 7.000. Keine Überraschung also, dass die Kassenschlange bereits am ersten Wochenende bis in die Fußgängerzone vor der Schirn reicht.
Basquiats wild wuchernde Kreativität findet treffsicher immer neue Kommentare zu den Daseinsfragen seiner Zeit, in der New York wie das Berlin von heute ist: zu arm, um nicht an sich zu zweifeln, zu durchgeschüttelt, um klare Antworten zu artikulieren, zu dreist, um einfach mal eine Dekade lang die Klappe zu halten. Eine Stadt kurz vor dem Platzen. Eine Stadt, die SAMO© zu Basquiat macht.
Jean-Michel Basquiat, 1960 als Sohn von Eltern aus Haiti und Puerto Rico geboren, ist ein belesenes Mittelschichtkind mit Migrationshintergrund. Mit 15 reißt er aus. Mit 17 Jahren sprüht er mit seinem Kumpel Al Diaz Buchstaben und Textzeilen an Wände, getaggt mit SAMO©, ihr Akronym für „same old shit“. Sie hassen niemanden. Fast jeder langweilt sie zu Tode.
Basquiat hört Jazz, Bebop, Bach. Er scratcht in Clubs, tritt mit seiner experimentellen Band Gray auf, er malt. 1982 ist er als jüngster Künstler auf der Documenta in Kassel zu sehen. Seine Bilder hängen neben Werken von Josef Beuys, Anselm Kiefer, Gerhard Richter und Cy Twombly. Keith Haring, Madonna, Debbie Harry und der Galerist Bruno Bischofsberger zählen zu seinen Förderern, Andy Warhol und Francesco Clemente sind seine Freunde.
Doch noch auf dem Höhepunkt seines schnellen Erfolgs wird er, der farbige Starmaler, Schwierigkeiten haben, einen guten Platz in einem Restaurant zu bekommen.
Die Intensität und Widersprüchlichkeit seines Alltags spiegelt sich in jedem Pinselstrich: Rohe Formen, krachende Farben, ein heftiger Duktus und die Coolheit eines Jugendgangführers machen den Autodidakten, der sich in keine Strömung pressen lassen will, zum Postexpressionisten, Postmodernisten und Konzeptkünstler.
Mit 27 Jahren stirbt Basquiat an einer Überdosis Heroin. Sein Werk umfasst zu diesem Zeitpunkt rund 1.000 Gemälde, über 2.000 Zeichnungen, daneben Helme, Türen, Fenster – und bemalte Kleidungsstücke seiner Freundinnen.
Der Konzeptkünstler
An Kunst denkt er nicht, wenn er wie im Rausch arbeitet, sondern an das Leben. Buchstaben, Fratzen, Wortfetzen, Kippen, Staub und geometrische Formen setzt er zu Assoziationsgebilden zusammen. Seine Bilder spielen mit Religion und Sakrileg zugleich.
Basquiat ist ein Ausdruckskünstler, der kreativ sein muss, um sich in der Realität zurecht zu finden, einer, der Superstar sein will, aber nicht das Maskottchen einer Untergrundbewegung. Einer, der die Malerei Immer wieder aufgeben will, um damit auch die unerträgliche Sensibilität loszuwerden, die ihn großartig macht.
Gelungen lotst die Schau durch enge schwarze Gänge chronologisch vom SoHo-Sprayer bis zum Durchbruch mit der Sammelausstellung „New York/New Wave“ im Jahr 1981. Die 15 Bilder, die Basquiat für diese Schau schuf, hängt die Schirn, wie er es selbst damals machte, in ungewöhnliche Höhen, viel zu hoch, viel zu tief. Und liegt damit goldrichtig, indem sie dem Künstler folgt. Ein anschließender Raum ist der Freundschaft mit Andy Warhol gewidmet, ihren wechselseitigen Fotografien und schnell hingeworfenen Porträts.
Zwei weitere Räume geben dem Besucher Gelegenheit, Anspielungen auf Enzyklopädie und Kunstgeschichte zu enträtseln. In der Mitte zeigt eine Vitrine seine Skizzenbücher. In ihnen wird das atemlose, knochencoole Wesen dieses Künstlers, dieses Mannes besonders greifbar.
Happiness, diese amerikanische Version deutscher Gemütsruhe, unter der man sich zusammenrollen kann wie unter einem leicht klammen Federbett, war nichts für Basquiat. Lieber schläft er im Pappkarton. Im Park. Im Regen. Basquiat will mehr sein als nur ein aufgewärmter Toter – und ist dabei erfolgreich.
Bis 27. Mai, Schirn Kunsthalle Frankfurt am Main, Katalog (Prestel Verlag) 49,90 Euro
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