Gleich macht reich

VON HANNES KOCH

Wenn die Unterschiede zwischen Armen und Reichen zu groß sind, lähmt das die gesamte Gesellschaft. Dies ist eine Erkenntnis des „Berichts zur Entwicklung der Menschheit 2005“, den gestern das Entwicklungsprogramm der Vereinten Nationen (UNDP) veröffentlicht hat.

Alle zwei Jahre sortiert das UNDP die meisten Länder dieser Erde auf dem Human Development Index ein (Index der menschlichen Entwicklung). Diese Übersicht wird errechnet aus Indikatoren wie Lebenserwartung, Alphabetisierungsgrad und Pro-Kopf-Einkommen. Auf Platz 1 steht Norwegen, es folgen Island, Australien und andere reiche Länder. Auf Platz 20 kommt Deutschland. Das afrikanische Land Niger ist Schlusslicht – Platz 177 (siehe Tabelle unten).

Im oberen Viertel der Rangfolge finden sich sehr viele Länder, in denen die Einkommensverteilung zwischen armen und reichen Bevölkerungsgruppen vergleichsweise ausgeglichen ist. Zum Beispiel die Tschechische Republik (Platz 31) oder Schweden (6): In beiden Ländern erreicht der Anteil der ärmsten 20 Prozent der Bevölkerung am gesamten Einkommen Spitzenwerte – 10 Prozent in Tschechien, 9 in Schweden. Je stärker die Einkommen zwischen den unteren und oberen zehntausend differieren, desto wahrscheinlicher ist es umgekehrt, dass das Land einen unteren Platz auf der Entwicklungsliste einnimmt. In Brasilien etwa erwirtschaften die ärmsten 20 Prozent der Bürger nur gut 2 Prozent der Einkommen – das Land steht auf Platz 63 des UNDP-Index.

„Wohlstandsbedingte Unterschiede sind das erste Glied eines Kreislaufs der Ungleichheit, aus dem die Menschen ihr Leben lang nicht herauskommen“, schreiben die Autoren der UNDP. Geringe Einkommen der Eltern münden in schlechte Bildung der Kinder, was das Wachstum der gesamten Wirtschaft behindert – und schließlich auch die Reichen tangiert.

Das UNDP liefert nicht nur ein Update, wie es um die soziale Lage der Menschheit bestellt ist, sondern erhebt auch Forderungen für den Millenniumsgipfel der Vereinten Nationen in der kommenden Woche. „Wenn wir nicht einen Gang höher schalten, werden die Millenniumsziele scheitern“, heißt es. „Fast alle Ziele werden von den meisten Ländern verfehlt, einige davon mit riesigem Abstand“. Vor fünf Jahren haben die UN beschlossen, dass die extreme Armut bis 2015 weltweit halbiert werden soll.

Besonders in den afrikanischen Staaten südlich der Sahara ist davon nicht viel zu spüren. Viele dieser Länder werden stetig ärmer anstatt wohlhabender. Und sie haben keine Chance, dies aus eigner Kraft zu ändern, wie der US-Ökonom Jeffrey Sachs beschreibt: Ihnen fehlt ein ausreichendes Einkommen, um in Schulen, Wasserversorgung, Straßen und Sozialsysteme investieren zu können.

Daher sagte Guido Schmidt-Traub (UN Millennium Project), der den UNDP-Bericht in Berlin vorstellte: „Die Entwicklungshilfe muss mehr und besser werden.“ Eigentlich kein Problem, dass der Millenniumsgipfel in New York genau das beschließt – der Plan dafür liegt vor. Und doch könnte die gesamte Veranstaltung ein Misserfolg werden, weil die US-Regierung gegenwärtig alles blockiert, was nach konkreten Beschlüssen aussieht (siehe Artikel unten).

Über ausbleibende Kapitalflüsse von außen müssen sich reiche Staaten wie Deutschland und Österreich keine Sorgen machen. Sie halten im Entwicklungsbericht des UNDP nach wie vor Spitzenplätze – wenngleich ein gewisser Austausch stattfindet. Deutschland ist von 18 auf 20 abgerutscht, Österreich von 16 auf 17. Das hat damit zu tun, dass in anderen entwickelten Ländern wie Schweden, Finnland oder Island das Pro-Kopf-Einkommen relativ schneller zunimmt. Für die Lebensqualität im Alltag seien derartige statistische Veränderungen freilich „nicht signifikant“, sagte Guido Schmidt-Traub.