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Triumph für die Parteien des radikalen Protests

Unbestrittener Wahlsieger ist die Fünf-Sterne-Bewegung. Ohne sie wird bei der Regierungsbildung in Rom nichts gehen. Doch bisher schloss die Partei formelle Koalitionen aus. Es ist genau das Ergebnis, das Brüssel befürchtet hat: Die EU-Skeptiker sind in der Mehrheit, die Szenarien für eine Regierungsbildung liegen im Dunklen

Küsschen für Luigi: Di Maio führte die Fünf Sterne als Spitzenkandidat und Gegenentwurf zum lauten Parteigründer Beppe Grillo zum Sieg Foto: Andrew Medichini/ap

Aus Rom Michael Braun

Die Wählerinnen und Wähler Italiens haben der Politik des Landes eine Erschütterung beschert. Von einem „Erdbeben“ ist in den TV-Kommentaren die Rede. Vom Triumph der einen, der Fünf Sterne – und von der „Apokalypse“, die auf der anderen Seite Matteo Renzis bisher regierende Partito Democratico (PD) erlebte. Für die Parteien des radikalen Protests wurde das Votum zum in diesen Ausmaßen unerwarteten Kantersieg, für die gemäßigteren Kräfte zum völligen Desaster.

Unbestrittener Wahlsieger ist das Movimento5Stelle (M5S – 5-Sterne-Bewegung) unter seinem Spitzenkandidaten Luigi Di Maio. Dem erst 31-Jährigen gelang mit 32,7 Prozent noch einmal eine deutliche Steigerung gegenüber 2013, als das M5S damals völlig überraschende 25,6 Prozent geholt hatte. Jeder dritte Italiener wählt mittlerweile die Fünf Sterne, in den beruflich aktiven Alterskohorten zwischen 25 und 55 Jahren liegt der Wert gar bei 40 Prozent.

Vor allem im Süden des Landes triumphierte die Protestbewegung; in Apulien oder Kampanien liegt sie bei über 45 Prozent, im Großraum Neapel kam sie gar über die 50-Prozent-Marke. Damit wurde die Parlamentswahl zum Seismografen der verbreiteten tiefen Unzufriedenheit der ­Bürger.

Zum völligen Desaster wurde der Wahlgang dagegen für die gemäßigt linke Partito Democratico (PD) unter Matteo Renzi, in den letzten fünf Jahren die wichtigste Regierungspartei, die mit Paolo Gentiloni auch den scheidenden Ministerpräsidenten stellt. Die PD stürzte von 25,5 Prozent (2013) auf jetzt nur noch 18,7 Prozent ab und lag damit noch unter den pessimistischsten Umfragen in den Wochen vor der Wahl.

Renzi hatte vor fünf Jahren angesichts des seinerzeit als herbe Niederlage empfundenen Resultats von 25 Prozent die Parteiführung erobert. Er hatte noch wenige Tage vor der Wahl angekündigt, er wolle auch im Falle einer Niederlage Parteivorsitzender bleiben, schließlich sei er „bis 2021 gewählt“.

Mit dem Resultat von Sonntag dürfte diese Ansage nun hinfällig werden. Renzi, der damit kokettierte, er sei gleichsam der italienische Macron, wachte als Schulz wieder auf. Nach dem Europawahltriumph von 41 Prozent galt er als der große Hoffnungsträger der PD, doch jetzt dürfte Renzi vor einem ähnlich unrühmlichen Karriereende wie der inzwischen zurückgetretene SPD-Chef Martin Schulz stehen.

Selbst das Überleben der PD stellen politische Beobachter in Frage. Allzu offenkundig ist Renzis Projekt gescheitert, seine Partei dem Land als Neuerer zu verkaufen, die eher die politische Mitte als die Linke vertreten wollen. Selbst in den früheren roten Hochburgen, der Emilia Romagna und Umbrien, wurde die PD von der Rechten geschlagen.

Die Wahl in Italien

Das Ergebnis Das rechte Bündnis aus Lega, Forza Italia und Nationalkonservativen wurde mit 37 Prozent stärkste Kraft, die Protestbewegung Fünf Sterne mit 31 Prozent stärkste Einzelpartei. Das Mitte-links-Bündnis um die Demokratische Partei kam nur noch auf gut 23 Prozent. Die Lega überflügelte mit fast 18 Prozent die Forza Italia des früheren Ministerpräsidenten Silvio Berlusconi, die auf knapp 14 Prozent kam.

Die Regionen Die Fünf-Sterne-Bewegung war besonders im Süden erfolgreich, während die Lega im Norden viele Stimmen erhielt.

Aber auch für den Rechtsblock um Silvio Berlusconi bedeutet das Wahlergebnis eine nicht erwartete Revolution. Mit insgesamt 37 Prozent erreichte er zwar ziemlich genau das prognostizierte Ergebnis. Die internen Kräfteverhältnisse sind jedoch auf den Kopf gestellt. Berlusconi, der sich von der Wahl ein Comeback erhofft und erwartet hatte, seine Forza Italia (FI) werde zum Mehrheitsaktionär der Rechtsallianz, blieb bei 14 Prozent hängen. Die Hoffnungen des 81-jährigen Berlusconi, noch einmal zur Schlüsselfigur der römischen Politik zu werden, haben sich damit in Luft aufgelöst.

Triumphieren kann dagegen Matteo Salvini von der fremden- und Euro-feindlichen Lega Nord. Seine Partei schnellte auf 17,4 Prozent hoch. Statt der traditionellen Vertretung der Interessen des Nordens setzt die Lega heute auf einen Kurs gegen Ausländer und Europa, den sie bei der Chefin der rechtsextremen französischen Front National, Marine Le Pen, entlehnt hat. Italiens Rechte ist damit radikal populistisch aufgestellt, denn neben Salvini konnte Giorgia Meloni von der postfaschistischen Partei Fratelli d’Italia“ (FdI – „Brüder Italiens“) gut 4 Prozent einfahren.

Für die EU in Brüssel ist das Wahlergebnis ein doppelter Schock. Denn nun tritt ein, was Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker im Februar befürchtet hatte: „Das Worst-case-Szenario könnte sein, dass es keine einsatzfähige Regierung in Italien gibt.“ Nun dürfte es wohl genau so kommen: Die möglichen Szenarien für eine Regierungsbildung liegen völlig im Nebel. Wie befürchtet, wird im Parlament ein Patt zwischen den drei Blöcken herrschen. Zum anderen haben die EU-freundlichen Parteien eine klare Niederlage erlitten. Die Brüssel-Basher sind in Italien in der Mehrheit – seit dem Brexit-Referendum im Juni 2016 in Großbritannien ist dies in keinem EU-Land mehr passiert.

Junckers Sprecher wiegelte am Montag allerdings ab: „Wir vertrauen in Staatspräsident Sergio Mattarella und seine Fähigkeit, die Bildung einer stabilen Regierung zu ermöglichen.“ Im Übrigen habe Italien ja noch eine funktionierende Regierung, eine akute Krise drohe nicht.

Weniger zurückhaltend reagierten die Europaabgeordneten. „Das ist ein erneuter Weckruf für Europa“, sagte der SPD-Parlamentarier Jo Leinen. „Die Menschen in Italien, aber auch in anderen Ländern in Europa, lassen sich von den lauten, extremen und populistischen Bewegungen verführen.“ Antworten auf ihre Sorgen hätten sie aber nicht. Auch die Sozialdemokraten müssten sich neu aufstellen.

Was die Regierungsbildung angeht, ist jedenfalls eines klar: Ohne die Fünf Sterne wird in Rom nichts gehen. Bisher schloss das M5S formelle Koalitionen aus und beanspruchte im Falle eines Wahlsiegs die Bildung einer Minderheitsregierung, die die anderen Parteien unterstützen dürften.

Beobachter stellen nach der Wahl selbst das Überleben der wichtigsten Regierungspartei PD in Frage

Sollten die Fünf Sterne sich dennoch verhandlungsbereit zeigen, gäbe es nur zwei mögliche Lösungen. Die erste wäre ein Zusammengehen mit der PD, wenn sie sich von dem beim M5S verhassten Renzi befreit hat. Die PD hat jedoch noch in der Wahlnacht angekündigt, ihr Platz sei in der Opposition gegen Di Maios M5S.

Arithmetisch möglich wäre auch eine Koalition des Protests aus M5S, Lega und der postfaschistischen FdI. Sie hätte komfortable Mehrheiten in beiden Häusern des Parlaments. Politisch würde ein solches Bündnis jedoch vor allem das M5S extremen Spannungen aussetzen – deren Wähler kommen in hohem Maß auch von links, die Bewegung ist vor allem im der Lega überwiegend feindlich gesonnenen Süden stark. Hinzu käme das hohe Risiko, mit einer im Ausland als tief europaskeptisch empfundenen Regierung Verwerfungen quer durch die EU und in Italien selbst zu provozieren.

Nur eines steht gegenwärtig fest: Es ist Di Maios M5S, auf dem jetzt die Verantwortung lastet, eine Lösung zu finden, die auf den Veränderungswunsch ihrer Wähler antwortet – ohne das Land ins politische Chaos zu stürzen.

Mitarbeit: Eric Bonse

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