Die Leerstelle

Vor dem CDU-Sonderparteitag stellt Angela Merkel ihre Kabinettsliste vor. Darin sendet die Kanzlerin Signale an ihre Kritiker und bietet starken Frauen ein Bühne. Die Gruppe der ostdeutschen Politiker berücksichtigt sie jedoch nicht

Merkels Zeichen an die Jungen und bisweilen Wilden in der CDU: Jens Spahn soll das Gesundheitsministerium übernehmen Foto: Kay Nietfeld/dpa

Aus Berlin Anna Lehmann

Angela Merkel hält Wort. Noch vor dem CDU-Sonderparteitag wollte sie bekannt geben, welche Parteifreundinnen und -freunde als Minister und Ministerinnen ins Bundeskabinett einziehen sollen. Das hatte sie am 11. Februar im ZDF versprochen. Am Sonntagnachmittag, als sich im Konrad-Adenauer-Haus erst das Präsidium und dann der Bundesvorstand trafen, löste sie ihr Versprechen ein. Das offizielle Pressestatement kam erst nach Redaktionsschluss. Doch die 1.001 Delegierten, die am Montag über den Koalitionsvertrag abstimmen, wissen dann, wer die sechs Männer und Frauen sind, die ihn für die CDU umsetzen sollen.

Die vorab bekannt gewordene MinisterInnenliste zeigt zunächst, dass Merkel geliefert hat. Spektakulär und zugleich erwartbar: Jens Spahn soll das Gesundheitsministerium übernehmen. Indem sie ihren derzeit populärsten Kritiker aus den eigenen Reihen in die Regierungsmannschaft holt, sendet Merkel zugleich ein Zeichen der Befriedung an die Jungen und bisweilen Wilden in der CDU, allen voran Jens Spahn selbst. Spahn und Co. fordern einen Generationenwechsel in und eine Erneuerung der Partei. Erneuerung ist dabei nicht progressiv, sondern konservativ konnotiert.“Sind wir in zehn, fünfzehn Jahren noch Volkspartei?“, fragte Carsten Linnemann, Spahn-Kumpel und Vorsitzender der CDU-Mittelstandsunion, im „Bericht aus Berlin“ am Wochenende und beantwortete diese Frage mit: Dann müsse man wieder erkennbar werden. Das eigene Profil zu schärfen bedeutet in diesem Fall, die von Merkel vorangetriebene Sozialdemokratisierung der CDU zu beenden.

Indem sie Spahn ausgerechnet das Gesundheitsressort überträgt, erweist sich Merkel mal wieder als ausgebuffte Machtpolitikerin, die sich nicht kampflos ergibt. Fachlich lässt sich Spahns Nominierung ohne Weiteres begründen: Jahrelang war er Gesundheitsexperte der Bundestagsfraktion, 2009 als gesundheitspolitischer Sprecher. Doch als Gesundheitsminister muss er, der die CDU nach rechts rücken will, nun auch SPD-Politik mit umsetzen und die in den Koalitionsverhandlungen ausgehandelte paritätische Finanzierung der Krankenversicherung wieder einführen. Fast vergiftet klingt das Lob von SPD-Gesundheitspolitiker Karl Lauterbach via Twitter: „Glückwunsch Jens Spahn zu geplanter Ernennung Gesundheitsminister. […] Bei Bürgerversicherung werden wir fair streiten“.

Im Gesundheitssektor wird viel Geld umgeschlagen, es wimmelt von Lobbyisten. Spahn selbst betätigte sich laut Lobby Control als solcher, indem er 2006 – parallel zu seiner Tätigkeit im Gesundheitsausschuss – mit einem Freund eine Agentur gründete, die vornehmlich Kunden aus dem Pharma- und Medizinsektor beriet. Die damalige SPD-Gesundheitsministerin Ulla Schmidt nannte ihr Ressort mal ein Haifischbecken – es ist also auch möglich, dass Spahn 2021 nicht Merkel beerbt, sondern Fischfutter ist.

Abgesehen von der Personalie Spahn lauten Merkels personalpolitische Maximen: Loyalität und Vorsorge. Neben männlichen Vertrauten bindet Merkel auch starke Frauen ein und macht damit die Bühne frei für mögliche NachfolgerInnen nach ihrem, Merkels Gusto. Julia Klöckner, die rheinland-pfälzische Fraktionschefin und ehemalige Weinkönigin, gilt als gesetzt für das Agrarministerium. Die Rheinpfalz berichtete am Sonntag, dass sie bereits die Gremien ihrer Landes-CDU informiert habe. Klöckner, die 2016 die Gelegenheit verpasste rheinland-pfälzische Ministerpräsidentin zu werden, hat nun gut drei Jahre lang Gelegenheit zu zeigen, dass sie auch Kanzlerin könnte. Neben und im Wettstreit mit Annegret Kramp-Karrenbauer selbstverständlich.

Die designierte CDU-Generalsekretärin soll am Montag vom Parteitag gewählt werden. Mit ihrer Nominierung hatte Merkel eine Überraschung vorweggenommen: eine erfolgreiche Ministerpräsidentin, die in das arbeitsintensivste Parteiamt, das der Generalsekretärin, wechselt, das gab es so noch nie in der CDU. Kramp-Karrenbauer kündigte an, sie wolle die Partei diskursiver machen und ein neues Grundsatzprogramm vorlegen.

Krampf-Karrenbauer und Klöckner ticken konservativer als die Kanzlerin. Doch soll Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen, die sich mit dem Mitte-Kurs am wohlsten fühlt, im Amt bleiben.

„Sind wir in zehn, fünfzehn Jahren noch Volkspartei?“

Carsten Linnemann, Spahn-Kumpel und Vorsitzender der CDU-Mittelstandsunion

Mit der Nominierung von Anja Karliczek als Bundesbildungsministerin macht Merkel deutlich, dass sie immer noch gut für weitere Überraschungen ist. Die 46-jährige Bundestagsabgeordnete aus Steinfurt in Westfalen und Parlamentarische Geschäftsführerin der Unionsfraktion hatte niemand auf dem Zettel. Die Süddeutsche berichtete am Sonntag als Erste darüber. Als Bildungspolitikerin ist die gelernte Diplom-Kauffrau bisher nie in Erscheinung getreten, als Abgeordnete arbeitete sie im Finanz- und im Haushaltsausschuss.

Mit Helge Braun soll ein Mann aus Merkels engstem Machtzirkel das Kanzleramt führen. Gleiches gilt für Peter Altmaier. Der bisherige Kanzleramtsminister hat immer wieder für Merkel den Job des „Ausputzers“ gemacht: Auf dem Höhepunkt der Flüchtlingskrise übernahm er im Jahr 2015 die Koordination der Politik in diesem Bereich. Er soll Wirtschaftsminister werden.

Hat Merkel also alles richtig gemacht in einer für sie heiklen Periode, in der sie intern unter Druck steht, schmerzliche Zugeständnisse an den Koalitionspartner in spe machen musste und auch noch ihren Abgang nachhaltig regeln muss? Es scheint so. Kritikerquote? Erfüllt. Fünfzig-Prozent-Frauenquote? Erfüllt. Regionaler Proporz? Erfüllt. Halt! Nein. Kein einziger Vertreter der ostdeutschen Landesverbände ist bisher für ein Ministeramt nominiert. Thomas de Maizière, der in Dresden wohnende bisherige Innenminister, steht auf Abruf.

Die ostdeutschen Minsterpräsidenten, ob von CDU, SPD oder Linke, hatten Anfang Februar, die sich abzeichnende fehlende Repräsentanz ostdeutscher Politiker im vierten Kabinett Merkel kritisiert. Merkel hatte auch versprochen, sie werde ein Personaltableau präsentieren, das die ganze Breite der Partei abbilde. In diesem Punkt hat sie ihr Wort bisher nicht gehalten. (mit dpa)