wortwechsel
: Fake, Dummheiten und Provokationen

In Konfliktsituationen ist die Frage nach der Wahrheit meist schwer zu beantworten. Beschuldigungen und Bedrohungen führen jedoch nicht zur Deeskalation

Demonstrant*innen protestieren gegen die Münchner Sicherheitskonferenz Foto: dpa

„Komplizierte Wahrheitsfindung“, taz vom 15. 2. 18

Antisemitismusproblem

Yossi Bartal hat mit seiner Einschätzung völlig recht: Die Debatte über die israelische Besatzungspolitik ist vermintes Gebiet und man muss höllisch aufpassen, wer mit welchen Mitteln wofür oder wogegen argumentiert.

Tatsache ist, dass die israelische Armee immer wieder Menschenrechte verletzt hat. Dass die andere, die palästinensische Seite nicht minder schwerwiegende Rechtsverstöße begeht, stimmt wohl genauso. Dennoch gibt es absolut keinen Grund, den Verlautbarungen der israelischen Armee vorbehaltlos zu folgen.

Volker Beck irrt, wenn er meint, dies propagieren zu müssen. Vielmehr ist eine differenzierte Betrachtung und zurückhaltende Gewichtung angebracht. Zurückhaltung schon allein deshalb, weil Deutschland (nein, an dieser Stelle nicht arabische Immigranten, sondern Deutschland) ein heftiges Antisemitismusproblem hat. Insoweit ist Yossi Bartals Hinweis zutreffend, die Berichterstattung über israelische Menschenrechtsverletzungen könne dazu beitragen, hierzulande antisemitische Stereotype zu produzieren.

Der uns von Volker Beck nahegelegte Umkehrschluss, der israelischen Militärpropaganda vorbehaltlos zu folgen, ist jedoch bei allem Wohlwollen als abstrus zu bezeichnen. Sollte hier möglicherweise jemand versuchen, die Konsequenzen einer öffentlich kolportierten Crystal-Meth-Sucht mit einer Kampagne zu einem anderen Thema vergessen zu machen? Einer Droge übrigens, die in Kriegen gern zur Enthemmung eingesetzt wird.Raimund Schorn-Lichtenthäler, Datteln

Rechtsfreier Raum

Es gibt ein allgemeines Klima der Verachtung gegenüber den Palästinensern in der israelischen Gesellschaft, von der natürlich auch die Soldaten und ihre Vorgesetzten nicht ausgenommen sind. Dass die offiziellen Einsatzregeln des Militärs routinemäßig missachtet werden, kam in dem Verfahren gegen Elor Azaria, der im März 2016 in Hebron den bereits wehrlos am Boden liegenden schwer verletzten Abed al-Fattah al-Sharif erschoss, klar zutage, wie Jonathan Cook in seinem Artikel „No hope of equality before the law“ am 5. 1. 17 auf Al Jazeera schrieb. Azaria wäre höchstwahrscheinlich nie vor Gericht gestellt worden, wäre er nicht bei seiner Tat gefilmt worden.

Der stellvertretende Stabschef Uzi Dayan, der als Zeuge der Verteidigung aussagte, erklärte zum Beispiel, dass er ungerechtfertigte Tötungen seiner Soldaten immer vertusche und General Shmuel Zakai, der Kommandeur in Gaza war, sagte aus, dass er Azarias Verhalten vernünftig fand und nichts Ungewöhnliches in seinem Verhalten sehe.

Selbst wenn es im Einzelfall manchmal schwer sein kann, ganz genau herauszufinden was geschah, ist es offensichtlich, dass Willkür und Verachtung zu einem quasi rechtsfreien Raum geführt haben, in dem steinewerfende palästinensische Minderjährige, wie zum Beispiel Ahmad Mansara, der als 13-Jähriger zu zwölf Jahren Haft in einem Erwachsenengefängnis verurteilt wurde, vor Militärgerichten angeklagt werden, aber schwer bewaffnete israelische Soldaten der Besatzungsarmee, die sich nicht an die offiziellen Einsatzregeln halten, nicht zur Rechenschaft gezogen werden.Manuela Kunkel, Stuttgart

Verzerrte Wahrnehmung

Der Artikel legt viel zu viel Gewicht darauf, ob die getöteten Palästinenser Gewalt angewandt hatten – das ist überhaupt nicht relevant, weil das ja völlig legitimer bewaffneter Widerstand gegen eine Besatzungsarmee gewesen wäre. Und Volker Beck beschwert sich darüber, dass andere sich nicht an seiner Verleumdung von Freiheitskämpfenden als „Terrorist*innen“ beteiligen. Indem der Artikel auf die Frage der Gewaltanwendung fokussiert, verpasst er eine Gelegenheit, diese absurde Wahrnehmungsverzerrung aufzuzeigen. Felix Pahl auf taz.de

Jüdische Täter

Polens Premier empört mit Holocaust-Äußerung“,taz vom 19. 2. 18

Für den nationalistischen Kurs der derzeitigen polnischen Regierung und ihr „Gesetz zum Schutz des guten Rufes Polens“ habe ich keinerlei Sympathien. Und Morawieckis Äußerung zu „jüdischen Tätern“, die er so einfach neben „russische, ukrainische und polnische und nicht nur deutsche“ Täter stellt, hätte zumindest einer Erläuterung bedurft.

Aber ja, es gab vereinzelt auch Jüdinnen und Juden, die zu Tätern wurden: So waren Stella Kübler und ihr Mann Rolf Isaaksohn ab 1943 als sogenannte Greifer von der Gestapo auf in Berlin untergetauchte Juden angesetzt. Während aber nichtjüdische Denunzianten und Kollaborateure meist aus Gewinnsucht und/oder antisemitischen Motiven heraus handelten, blieb Kübler und Isaaksohn 1943 zum eigenen Überleben nicht viel anderes übrig, als mit der Gestapo zusammenzuarbeiten – zu ihren schrecklichen und schändlichen Taten wurden sie faktisch gezwungen.

Kübler zumindest zahlte dafür einen hohen Preis: Die Nazis ermordeten ihren ersten Mann und ihre Eltern, die sie durch ihre Spitzeltätigkeit schützen wollte.

Nach dem Krieg saß sie – im Gegensatz zu vielen schlimmeren Nazi-Verbrechern – zehn Jahre im Gefängnis. Ihre Tochter sagte sich von ihr los, und schließlich setzte sie 1994 ihrem Leben selbst ein Ende. Volker Scheunert, Hamburg

Europafeindliche Politik

„Gezielter Fremdenhass“, taz vom 20. 2. 18

Wo seid ihr Europäer? Wo bleibt der Aufschrei? Wie kann es sein, dass Ungarn (und auch Länder wie Polen) europafeindliche, rechte Politik offen und ohne Hehl vertreten und trotzdem Gelder aus Brüssel erhalten? Sind unsere europäischen Abgeordneten auf dem rechten Auge blind? Oder einfach nur satt und zu fest im Sattel? Ich bin erschüttert! Jedes Land, das sich durch solche radikalen Äußerungen derart ins Abseits stellt und die europäischen Werte nicht anerkennt oder verhöhnt, dem gehören sämtliche Subventionen und auch Stimmrechte entzogen. Tanja Hiort, Seevetal

Absurde Inszenierung

„Auf Konfrontationskurs“, taz vom 18. 2. 18

Wer braucht eine solche Sicherheitskonferenz ? Der Beitrag zur globalen Sicherheit ist bestenfalls dürftig, wahrscheinlich eher kontraproduktiv. Bestenfalls wird ein Aggressionsabbau erreicht, vergleichbar mit dem Effekt beim Aufeinandertreffen testosterongeschwängerter Hooligans in Stadien. Man schreit sich seine Parolen zu und verteufelt die Gegenseite.

Nicht ganz neu, aber zunehmend virulent ist die absurde Ignoranz und Verfälschung von Fakten. Atomare Waffen niedrigerer Sprengkraft erhöhen die Abschreckung ? Jüdische Täter im Holocaust? Fake, Dummheiten und Provokationen sind selbsteskalierend und erzeugen keine Sicherheit. Nur wenn man jede(n) Beteiligte(n) verpflichten könnte, ausschließlich seine eigenen Beiträge zur Deeskalation darzustellen, könnte die Sicherheitskonferenz ihren Namen verdienen. Deeskalation durch Ohrfeigen, mehr militärisches Gewicht in der europäischen Waagschale, Beschuldigungen und Bedrohungen sind grundsätzlich nicht überzeugend. Sie machen die Konferenz zu einer absurden politischen Inszenierung niedrigsten Niveaus. Uwe Herrmann, Penzberg