die woche in berlin
: die woche in berlin

Das Volksbegehren für mehr Videoüberwachung ist am Start, SPD-Fraktionschef Raed Saleh macht sich für die Freigabe von Cannabis breit, die Bierbikes dürfen auf der Straße bleiben, und der Regierende hält eine erneute Olympiabewerbung Berlins für eine Supersache – was die Berliner eher nicht so sehen

Der Ruf nach dem Big Brother

Volksbegehren für mehr Videoüberwachung

Da stand er also, der immer peinlicher werdende Heinz Buschkowsky, ehemals Neuköllner SPD-Bezirksbürgermeister, heute vor allem Populist in eigener Sache, grinste siegesgewiss und hielt ein Schild in den Händen. 25.083 BerlinerInnen haben demnach für ein Volksbegehren für mehr Videoüberwachung unterschrieben. Mit der Übergabe der Unterschriften an die Innenverwaltung am Montag stellten die Big-Brother-Befürworter, zu denen auch der ehemalige CDU-Justizsenator Thomas Heilmann gehört, den Antrag auf Einleitung eines Volksbegehrens.

Damit es zum Volksentscheid darüber kommt, ob 50 öffentliche Orte in der Stadt dauerhaft per Kamera überwacht werden, sind im zweiten Schritt weitere 170.000 Unterschriften nötig. Viele politische Kommentatoren schätzen die Chancen für ein Gelingen hoch. Statt nach Tegel die nächste Niederlage zu kassieren, sollte der Senat schon vorab den Kompromiss suchen. Doch die Analyse ist so falsch wie der Ratschlag.

Fünf Monate lang hat sich die Initiative bemühen müssen, um die notwendige 20.000er-Marke zu knacken. Zum Vergleich: Der Fahrrad-Volksentscheid hatte in nur dreieinhalb Wochen mehr als 100.000 Stimmen gesammelt – so sieht eine Stimmung aus, die von den Regierenden nicht ignoriert werden kann. Ob CDU, Polizeigewerkschaften und Heinz Buschkowsky tatsächlich den nötigen Aktivismus aufbringen für eine monatelange, erfolgreiche Kampagne, ist alles andere als ausgemacht.

Und selbst wenn: Ein Einknicken des Senats, ein „Kompromiss“ wie die Installation von Kameras an 20 oder 30 Orten, wäre die Kapitulation linker Innenpolitik. Wenn Rot-Rot-Grün eine echte Alternative sein will, muss über Sicherheit außerhalb der von Konservativen vorgefertigten Schablonen geredet werden. Die guten Gründe gegen eine großflächige Überwachung gehören in die politische Arena, ebenso die eigenen Ansätze. Linke Sicherheitspolitik kann sich nicht mit Pseudolösungen und dem Verdrängen von Kriminalität zufrieden geben.

Leider aber übt sich die SPD mal wieder im schrittweisen Zurückweichen. Der Regierende Bürgermeister Michael Müller fiel bereits im Januar einer eigenständigen Senatspolitik in den Rücken, als er sagte: „Ich glaube, es gibt Möglichkeiten, dem durchaus verständlichen Anspruch nachzukommen, auch mit Videotechnik für mehr Sicherheit in der Stadt zu sorgen – aber auf keinen Fall flächendeckend, sondern an kriminalitätsbelasteten Orten.“

Der Genosse Buschkowsky kann sich freuen. Erik Peter

Fragen des politischen Gespürs

Raed Saleh in Sachen Hanf und Spandau

Dass Raed Saleh ein feines Gespür hat für politische Stimmungen, ist nicht unbedingt eine Neuigkeit. Schließlich hat es der Spandauer mit palästinensischem Hintergrund nicht unbedingt wegen seiner politischen Inhalte an die Spitze der SPD-Fraktion gebracht, sondern wegen seiner Fähigkeit, Themen zu setzen. Null Toleranz ist so ein Thema, von dem Saleh weiß, dass es SPD-Anhänger ebenso gerne hören wie AfD-Wähler, die der SPD-Fraktionschef gerne zurückgewinnen möchte.

Umso überraschender mag es gewesen sein, dass sich der ewige Widersacher des SPD-Landeschefs und Regierenden Bürgermeisters Michael Müller am Mittwoch für eine Freigabe von Cannabis aussprach. Dabei hatte sich im November 2015 noch eine knappe Mehrheit der SPD-Mitglieder in Berlin gegen eine Liberalisierung der Drogenpolitik ausgesprochen.

Doch das eine – Cannabis – ist ohne das andere – null Toleranz – nicht zu denken. Denn je weniger sich die Polizei mit bekifften Touris beschäftigen muss, desto mehr bleibt Zeit für die „richtige“ Verbrechensbekämpfung. Auch der Bund Deutscher Kriminalbeamter ist deshalb für ein Ende des Cannabis-Verbots. Und Saleh kann sich einmal mehr als liberaler und zugleich zupackender Politiker präsentieren.

Das aber hat er auch dringend nötig. Denn ausgerechnet im heimischen Spandau ist ihm zuletzt der politische Spürsinn abhandengekommen. Zwei Abgeordnete aus Spandau nämlich hatten es gewagt, jenen Brandbrief von 14 Mitgliedern der SPD-Fraktion im Abgeordnetenhaus zu unterzeichnen, in dem Saleh vorgeworfen wurde, lieber sich selbst und sein Buch über die deutsche Leitkultur zu vermarkten, als seinem Job als Fraktionschef nachzugehen.

Als es nun zu turnusmäßigen Neuwahlen der Vorsitzenden der SPD-Ortsvereine in Haselhorst-Siemensstadt und Hakenfelde kam, sah Saleh offenbar die Gunst der Stunde gekommen, um sich bei Daniel Buchholz und Bettina Domer, den beiden Abtrünnigen, zu rächen. Beide wollten wieder als Ortschefs in Spandau kandidieren, und beide Male kam es zur sogenannten Lastwagen-Demokratie – der Unterwanderung der Ortsvereine durch Vertraute oder Mitarbeiter von Saleh. Bei Domer hatte Saleh Erfolg, doch Buchholz konnte er nicht stürzen.

Die Rache blieb also auf halbem Wege stecken. Im Abgeordnetenhaus hat sich Saleh damit keine Freunde gemacht, im Gegenteil. Bei den nächsten Vorstandswahlen, sagt ein Genosse, werden wir sicher eine Doppelspitze wählen. Dann wäre Saleh selbst entmachtet – trotz seines Gefühls für politische Stimmungen. Uwe Rada

Mehr Hedonismus zulassen

Bierbikes dürfen weiter durch die Stadt rollen

Es darf weitergesoffen werden im Straßenverkehr: Vor dem Berliner Verwaltungsgericht haben der Betreiber der „Bigbikes“ – besser bekannt als Bierbikes oder Saufmobile – und das Bezirksamt Mitte am Donnerstag einen Vergleich geschlossen: Die rollenden Theken dürfen entgegen dem Willen der Behörde ganzwöchig durch die Stadt eiern. Der Unternehmer, der gegen die vielen Auflagen zu seiner Sondererlaubnis geklagt hatte, akzeptierte im Gegenzug, dass seine Gefährte weiterhin einen Bogen um touristische Magistralen wie die Friedrichstraße oder die Linden machen müssen. Bis Februar 2019 gilt das jetzt erst einmal.

Denen, die in der Stadt fürs große touristische Ganze zuständig sind, macht die Einigung Bauchschmerzen: Die oftmals lauten und betrunkenen Bierbike-Radler seien „ein Verkehrshindernis“, sie setzten „ein negatives Bild von Berlin in die Welt“, findet Wirtschaftssenatorin Ramona Pop. Und auch Burkhard Kieker, Chef von Visit Berlin, der Tourismusagentur des Landes, findet, die Schlucktouren gehörten verboten: Sie seien eine „Belästigung für die Berliner und unsere Gäste“ und transportierten ein „Ballermann-Bild von Berlin, das nichts mit unserem Image in der Welt zu tun hat“.

Da muss man jetzt doch mal einen, hicks, Punkt machen. Denn so eindeutig ist ja nun auch noch nicht geregelt, wer etwas zum Image dieser Stadt beitragen darf und wer nicht. Es geht hier ja nicht um Straftaten oder rechte Aufmärsche, sondern um ein paar Leute, die sich klimaneutral durch die Stadt bewegen und den übrigen Verkehr schlimmstenfalls kurz auf Tempo 20 bremsen – eigentlich ein Ideal grüner Mobilitätspolitik. Es geht um Menschen, die mit ihrem öffentlichen Hedonismus ein ganz kleines bisschen das Tempo aus der kapitalistischen Stadtmaschine nehmen. So what?

Klar, grölende Typen sind scheiße. Aber haben die nicht dasselbe Recht, die Straße zu benutzen, wie knatternde Touri-Trabis oder Riesendieselstinker, die als „Hop on hop off“-Busse unterwegs sind? Und ist die naserümpfende Kritik der Stadt­oberen nicht auch ein kleines bisschen klassistisch?

Man sollte das anarchische Potenzial der Strampeltresen nicht unterschätzen. Spätestens wenn in nicht allzu ferner Zukunft die ersten Hanfbikes ihre Duftwolken zu Reggae-Offbeats durch die Straßen ziehen, passt das mit dem Image auch wieder. Claudius Prößer

Keine Lust auf Sommer-märchen

Berliner träumen nicht von Olympia in der Stadt

Als Anfang dieser Woche nach Exkanzler Gerhard Schröder auch der Regierende Bürgermeister Michael Müller (beide SPD) verkündete, dass er eine erneute Olympia-Bewerbung Berlins für eine Supersache halte, interviewte der RBB dazu BerlinerInnen. Die Reaktionen ähnelten sich bei Laien und Fachleuten: von „Sorry, keine Zeit, mein Döner wird kalt“ über „Das schaffen wir nicht“ (Bürger) bis zu „Ich hab die Schnauze voll, das steht gegenwärtig nicht an“ (Klaus Böger, Präsident des Landessportbundes).

Ich erinnere mich an einen Ökumenischen Kirchentag vor 15 Jahren: U-Bahnen voller freundlich-orientierungsloser Menschen, die komische Dialekte sprachen. Gern gab ich Auskunft, Tipps, Trost und Rat: Ich fühlte mich – wie viele andere BerlinerInnen damals – wie eine Gastgeberin. Ganz ähnlich war das noch bei der Fußball-WM 2006, deren Spiele teilweise in Berlin ausgetragen wurden und die nicht zuletzt wegen der guten Stimmung in der Hauptstadt als „Sommermärchen“ in Erinnerung blieb. Was auch dem Selbstbild und -bewusstsein der plötzlich zu Weltstädtern gewordenen BerlinerInnen guttat.

Wenn Pläne für derartige Großveranstaltungen heute eher Angst und Schrecken als Begeisterung bei vielen BerlinerInnen auslösen, liegt das auch daran, dass immer mehr von ihnen mit den Nachteilen des neuen Weltstadtdaseins konfrontiert sind. Explodierende Mieten und Immobilienpreise, große Bauvorhaben, deren stets steigende Kosten zumindest teilweise ihnen als SteuerzahlerInnen aufgebürdet werden, überfüllte Busse, Bahnen, Straßen, Kitas, Schulen, Krankenhäuser, Bürgerämter, die dem Wachsen der Stadt nicht mehr hinterherkommen.

Die Berliner wollen, dass zunächst ihre ganz konkreten Probleme gelöst werden, bevor sie sich selbst und die Stadt, in der sie ihren Alltag bewältigen müssen, politischer Großmannssucht als Kulisse zur Verfügung stellen. Dass führende SPD-Politiker das nicht begreifen, zeigt, wie weit sie trotz aller gegenteiliger Beteuerungen der Sozialdemokraten vom Alltag der Menschen, die sie wählen sollen, entfernt sind. Alke Wierth

Gern gab ich Auskunft, Tipps, Trost und Rat: Ich fühlte mich wie eine Gastgeberin

Alke Wierth über alte Sommermärchen und das Schreckbild Olympia