DURCH DIE NACHT MIT JACK SMITH UND CHILL OUT MIT PETER SLOTERDIJK
: Lebende Druckfehler

Glamour gibt es jetzt nur noch im WAU

VON DORIS AKRAP

Was haben Beyoncé Knowles und Antony Hegarty mit dem Camp-Pionier Jack Smith zu tun? Ganz einfach: Beyoncés Hit „Crazy in Love“ ist die Antwort auf Jack Smith’ Film „Normal Love“. Und Antony Hegartys Coverversion von „Crazy in Love“ ist die Antwort auf Beyoncés Antwort auf Jack Smith. So jedenfalls wurde das Ganze Samstagabend im Hebbel am Ufer von Klaus Walter zusammengemischt. Auf der Suche nach den Spuren, die Jack Smith in der Popmusik hinterlassen hat, mixte Klaus Walter Bild, Wort und Ton so lange, bis am Ende selbst Elton John zu Elton Jack wurde.

Denn sie alle könnten Kinder von Jack Smith sein. Und als auch der letzte Zuhörer sich vorstellen konnte, möglicherweise einer der „Legendary Children“ zu sein, die Holly Johnson in seiner Hymne besingt, war klar, dieser Abend würde schrill und trashig werden, was nicht nur an Halloween lag. Immerhin hatte ein Großteil der Besucher schon den vierten Tag des Festivals „Life Film! Jack Smith! Five Flaming Days in a Rented World“ hinter sich, das im Hebbel Theater und im Arsenal stattgefunden hatte.

Als Nächstes spielte auf der Bühne des Hebbel das Duo Phantom/Ghost seine Kammermusik mit Verrenkungen und Verbeugungen. Es verabschiedete sich mit Right Said Freds „You are my mate“: „The only thing I want to do, is get drunk here with you“. Wenn das im Sinne von Jack Smith ist, dann ist doch alles gut. Aber was eigentlich ist daran jetzt Camp? Und was hat Susan Sontag in ihrem berühmten Aufsatz falsch verstanden? Und hat sich Jack Smith nicht auch oft falsch verstanden und schlecht kopiert gefühlt? Und war Harald Juhnke nicht auch Camp?

Die Gespräche und Gedanken an der Bar wurden unterbrochen, denn Thomas Meinecke setzte sich mit Marc Siegel ebendorthin, um über Gottesdienst und Gender zu sprechen. Die Frage nach dem Glamour des Ganzen stellte Meinecke aber erst am Ende. Und so war klar, Glamour, das gibt es jetzt nur noch im WAU. Dort legte Eric D. Clark auf, und dessen Performance sollte an diesem Abend tatsächlich für den meisten Glanz auf den Gesichtern sorgen. Sein radikal schöner Disco-House-Techno machte aus der anfangs rumstehenden Bargesellschaft eine stundenlang glückliche, lachende, Hüften ausladende und groovende Masse.

Zwischendurch ein Ausflug in den zweiten Stock, wo Tony Conrad, Musikproduzent von Jack Smith’ Filmen, das Publikum ins „Jack Smithian Delirium“ versetzen wollte – mit vielen Kissen, Matratzen, nackten und halb nackten Prinzen und Prinzessinnen. Nichts für Leute, die nichts von Tülltüchern halten.

Irgendwann war Schluss und After Hour angesagt. Ausnahmsweise ging es dieses Mal ins Deutsche Theater. Passend zu Halloween ein Chill Out mit Peter Sloterdijk, warum nicht? Der stellte Sonntag früh im Gespräch mit Thomas Macho sein Buch „Du musst dein Leben ändern“ vor. Einige aus dem Publikum halten Sloterdijk wahrscheinlich für einen Philosophen, andere sicherlich eher für einen Irren, ganz und gar uncampy.

Für Sloterdijk scheint zumindest jede Nacht Halloween und also so ziemlich jeder, der ihm begegnet, ein Zombie. Oder wie kommt der Blasenphilosoph sonst zu der Einsicht, dass „der Mensch ein Wesen ist, von dem es zu viel gibt“? Und dass all diese Menschen „lebende Druckfehler“ seien, sodass man als Philosoph – den Sloterdijk mit dem Theologen, Philosophen und Pädagogen Comenius als „Lektor der Welt“ versteht – gar nicht wisse, wo man mit den „Korrekturen“ ansetzen solle.

Einen neuen Versuch der Religionskritik nannte Macho das Buch. Es würde zeigen, wie die Universalisierung der Askesis (gr.: Übung) in die Universalisierung der Bildung geführt habe. Die Aufklärung ist also für Sloterdijk eine bis heute anhaltende Übungsstunde. Jeder Einzelne müsse sein Leben lang und immer wieder üben wie ein Meistergeiger, um die eigene Unzulänglichkeit zu überwinden.

Doch was, denke ich, macht Sloterdijk mit denen, die trotz allen Übens nicht zu Leistungsträgern werden? Und wie hängt diese ganze Trainingslagertheorie dann auch noch mit dem „Kreditstress“ zusammen, der wie Sloterdijk Sonntag früh erklärte, die „Mobilmachung der Moderne“ ausgelöst habe? Das zumindest bleibt für mich in dieser After Hour verschlossen. Vielleicht muss Sloterdijk noch ein bisschen üben. Derweil freue ich mich auf die nächsten lebenden Druckfehler.