Grummel, grummel, grummel, Groko

In der CDU und SPD gibt es Kritik am Koalitionsvertrag. Bei den einen hinter vorgehaltener Hand, bei den andern umso lauter

In eine Wolldecke gehüllt: Merkel machte ihren Unterhändlern klar, dass mehr nicht geht Foto: Bernd von Jutrczenka/dpa

In der CDU wagt kaum jemand Kritik

Von Anja Maier

Während es in der CDU gärt, weil die Partei wichtige Schlüsselressorts an die Sozialdemokraten abgeben soll, beeilen sich ihre Abgeordneten, den kaum zu übersehenden Machtverlust zu kaschieren. Im Stundentakt laufen in den Redaktionen Statements von FachpolitikerInnen ein, die verschiedenste Inhalte des Vertrags hymnisch preisen.

„Im Verkehrsbereich haben wir sehr gute Ergebnisse erzielt“, erklärt etwa Vizefrak­tions­chef Ulrich Lange. „Gute Nachrichten für alle Kulturschaffenden“, jubelt der medienpolitische Sprecher Marco Wanderwitz. „Wir haben viel für Eltern und Kinder erreicht“, sagt Marcus Weinberg, Sprecher für Familienpolitik.

Man könnte diese Selbstbespiegelungen endlos fortsetzen. Viel interessanter ist es aber, nach kritischen Stimmen zu suchen. Die jedoch sind angesichts des Machtverlusts erstaunlich verhalten. Und wenn sie zu vernehmen sind, dann gern anonym. Das wird wohl so lange so bleiben, bis die Ministerämter inklusive Staatssekretärsposten verteilt sind; und das wird dauern.

Erst Anfang März soll das Ergebnis des SPD-Mitgliederentscheids feststehen. Und kurz zuvor, am 26. Februar, trifft sich die CDU zum Bundesparteitag in Berlin. Eigentlich soll dort die überfällige innerparteiliche Debatte laufen, wie in den zurückliegenden Jahren aus der 41,5- eine 32,9-Prozent-Partei werden konnte. Eigentlich. Aber weil auch dann noch nicht klar ist, ob es mit der Großen Koalition überhaupt klappt, wird zumindest die Parteiführung darauf bedacht sein, den Sozialdemokraten nicht in die Parade zu fahren.

Kritik an Merkel üben aktuell nur jene, die dafür ohnehin bekannt sind, etwa der Abgeordnete Christian von Stetten oder die namenlosen Mitglieder der bislang bedeutungslosen „Werte-Union“. Oder es melden sich jene zu Wort, deren Job das qua Amtsbeschreibung ist oder die die Kritik an der Chefin formulieren, bevor es die Falschen tun.

Zweifelsohne schmerzhaft

Zu denen zählt Annegret Kramp-Karrenbauer. Die saarländische Ministerpräsidentin und Merkel-Vertraute sagte dem ZDF, der Verlust des Finanzressorts „tut uns weh, das ist unzweifelhaft so“. Und Schleswig-Holsteins Ministerpräsident Daniel Günther erklärte, die Begeisterung beim Ressortzuschnitt halte sich „aus Sicht der CDU in engen Grenzen“. Das würde so wohl auch Merkel unterschreiben.

Paul Ziemiak, der Vorsitzende der Jungen Union, wagt zwar ein wenig Kritik an seiner Vorsitzenden, wenn er am Rande der Fraktionssitzung im Bundestag erklärt, bei der Ressortverteilung dürfe man „nicht vergessen, wie viele Menschen die SPD gewählt haben – und wie viele die Union“. Auf die Frage, wo denn im künftigen Kabinett jüngere PolitikerInnen blieben, sagt Ziemiak: „Eine große Partei, die zukunftsfähig sein will, die muss sich breit aufstellen. Dazu gehören auch neue Gesichter.“ Wohlgemerkt neue, nicht zwingend junge.

Von denen, die beim Machtpoker im Adenauer-Haus dabei waren, hört man erschütternde Geschichten. Teilweise wurde sich über Stunden angeschwiegen – in der Hoffnung, dass die Gegenseite einlenkt. Immer wieder sei Angela Merkel, in eine Wolldecke gehüllt, bei den Unterhändlern aufgetaucht, um zu reden. Irgendwann war allen klar: Wenn wir jetzt hier rausgehen und sagen, das wird nichts, überleben wir das politisch nicht. Die SPD hatte offenbar die stärkeren Nerven – und hat gewonnen.

Wer von CDU-Seite dabei war, sagt: Mehr war beim besten Willen nicht rauszuholen. Angela Merkel bliebe nun noch die Möglichkeit, ihre einflussreichsten Kritiker mit Posten zu füttern. Doch schon jetzt ist klar: die Zahl der Kritiker wächst gerade ins Maßlose.

In der SPD zählen sie jeden Groko-Fan

Von Tobias Schulze

Gustav Herzog greift jedes Mal zum Telefon, wenn in seinem Wahlkreis ein neues Mitglied in die SPD eintritt. Das gehört sich so, findet der Bundestagsabgeordnete aus Kaiserslautern: kurz Hallo sagen und fragen, warum der Neue dabei ist.

Im Januar verbrachte Herzog besonders viel Zeit am Hörer, 30 Neumitglieder musste er abtelefonieren. Der SPD-Politiker berichtet: „Nur einer war dabei, der sagte: Ich bin eingetreten, weil ich die Große Koalition verhindern will.“ Die meisten anderen hatten schon länger überlegt, in der Partei mitzumachen. Jetzt nutzten sie die Gelegenheit. Und nicht alle Neuen wollen beim Mitgliederentscheid gegen den Koalitionsvertrag stimmen.

An der Parteispitze hört man solche Berichte gern. Nach dem Ende der Koalitionsverhandlungen wartet schließlich die nächste Hürde auf die SPD-Führung: Die knapp 464.000 Parteimitglieder dürfen bis zum 2. März per Briefwahl darüber entscheiden, ob sich die SPD an der nächsten Bundesregierung beteiligt. Allein 24.000 davon sind seit Jahresbeginn eingetreten. Ein Teil dürfte der Kampagne der Jusos zu verdanken sein, die seit Wochen dafür werben, einzutreten und gegen die Groko zu stimmen. Aber eben auch nur ein Teil.

Andrea Nahles schöpft daraus Hoffnung. Der SPD-Abgeordnete Herzog hatte auch der designierten Parteivorsitzenden von seinen Telefonaten erzählt, sie wiederum berichtete am Mittwochabend im ZDF von den Neumitgliedern aus Kaiserslautern. „29 wollen für die Groko stimmen“, sagte sie im Interview. In ihrem Optimismus hatte sie Herzog offenbar nicht ganz richtig verstanden.

Werbung in sieben Städten

Immerhin: In den kommenden Wochen wird sie noch Gelegenheit haben, persönlich mit einigen der Neumitglieder zu sprechen. Das Willy-Brandt-Haus plant derzeit eine Reihe von Regionalkonferenzen, in sieben Städten will die SPD-Spitze vor der Parteibasis für den Koalitionsvertrag werben.

Die Presse ist auf den Veranstaltungen nicht erwünscht, die Sozialdemokraten sollen unter sich bleiben. Zu Beginn werden jedes Mal Nahles und Noch-Parteichef Martin Schulz auf der Bühne sprechen, dazu vielleicht noch die jeweiligen Landesvorsitzenden und ein paar Vertreter aus dem Koali­tionsverhandlungsteam. Danach will sich die Parteiprominenz in den Sälen verteilen und in kleinen Gruppen mit den Genossen diskutieren.

Groko-Gegner werden nur in diesen Kleingruppen zu Wort kommen – was Juso-Chef Kevin Kühnert prompt kritisierte. Er plant eine eigene Tour durchs Land, ab Freitag wird er vor SPD-Mitgliedern für ein Nein zur Koalition werben.

Für Kühnert und andere Groko-Gegner war das Ende der Koalitionsverhandlungen am Mittwoch ein kleiner Dämpfer: Dass die SPD die drei wichtigen Ministerien für Äußeres, Finanzen sowie Arbeit und Soziales bekommt, kann die Parteispitze als Erfolg verkaufen. Andererseits: Inhaltlich haben die SPD-Verhandler nicht so viel herausgeholt, wie es der Parteitag im Januar gefordert hatte. Auch die Personalentscheidungen der Spitze gefallen der Basis nicht unbedingt. Unter sich hatte die Parteiführung vereinbart, dass Nahles neue Chefin wird, Schulz dafür in die Regierung rückt und Sigmar Gabriel im Außenministerium Platz machen muss. Der ist jetzt offenbar beleidigt und sagte öffentliche Auftritte und Reisen ab.

Juso-Chef Kühnert hatte schon am Mittwoch gesagt, er sei „fassungslos“ über all die Personaldiskussionen. Und eine Runde von Groko-Gegnern um die Bundestagsabgeordneten Hilde Mattheis und Marco Bülow machten am Donnerstag eine neue Front auf: In einem offenen Brief forderten sie eine Urabstimmung über die neue Parteiführung.

meinung + diskussion