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Anwalt über heimliches Datensammeln„Das Ausmaß lässt sich erahnen“

Anwalt Sven Adam vertritt Betroffene, über die der Staatsschutz wohl illegal Daten gesammelt hat. Daran, dass die gelöscht wurden, hat er Zweifel.

Beliebtes Ausspähobjekt für die Polizei: Linker Aktivist Foto: dpa
André Zuschlag
Interview von André Zuschlag

taz: Herr Adam, wurden Sie auch vom Staatsschutz beobachtet?

Sven Adam: Also, was ich weiß, ist, dass der niedersächsische Verfassungsschutz mal personenbezogene Daten über mich in seinen Akten hatte. Das ist allerdings eine andere Geschichte. Im gegenwärtigen Fall geht es ja um den Göttinger Staatsschutz, der über vermutlich mehrere Hundert Leute, Großteils aus dem linkspolitischen Spektrum, und über mehrere Jahre hinweg Daten gesammelt hat. Ob über mich auch Akten geführt wurden, kann ich Ihnen nicht sagen. Ich vertrete aber anwaltlich 24 von den Betroffenen, bei denen wir wissen, dass Akten über sie geführt wurden. Diese hatten Klagen vor dem Verwaltungsgericht eingereicht, um diese Praktiken als illegal feststellen zu lassen, denn es gibt schlicht keine rechtliche Grundlage für eine derartige Form der Datensammelei.

Göttingens Polizeipräsident hat eine „rückhaltlose Aufklärung“ versprochen.

Gleichzeitig wurde aber bekanntgegeben, dass die gesammelten Daten bereits 2016 allesamt gelöscht worden seien. Dementsprechend ist eine Aufklärung nun natürlich nicht mehr möglich. Wie sollen die Betroffenen denn sonst erfahren, was über sie an Daten gesammelt wurden, wenn die Ordner nun angeblich vernichtet wurden? Außerdem geht es hier um mehrere Hundert Personen. Da kann es im Nachhinein gar keine Aufklärung geben, wer betroffen war und was über diese Leute an Informationen gesammelt wurden – sofern denn die Ordner wirklich nicht mehr existieren sollten. Deshalb ist davon auszugehen, dass versucht wird, die Sache im Sand verlaufen zu lassen.

Sie glauben nicht, dass die Daten wirklich gelöscht wurden?

So recht glauben will es hier niemand. In den 1980ern, im Zuge der Göttinger Spudok-Affäre, wurde das auch schon behauptet und stimmte im Nachhinein nicht. Wir haben deswegen Einsicht in die Löschprotokolle gefordert. Nur weil sich jemand hinstellt und sagt, die Daten seien gelöscht worden, ist das noch kein Beleg.

Sie hatten wegen der behaupteten Löschung der Daten Strafanzeige gegen Beamte des Staatsschutzes gestellt. Warum?

Im Interview: Sven Adam

Sven Adam, 40, ist Rechtsanwalt in Göttingen. Zu seinen Mandanten gehört auch der pensionierte Polizeibeamte, durch den die Aktenaffäre aufflog.

Soweit wir wissen, wurden die Daten auf Betreiben des Staatsschutzleiters geführt und auch, angeblich voriges Jahr, vernichtet. Diese Akten sind aber rechtlich betrachtet Urkunden und dürften nicht einfach von demselben Beamten ohne Weiteres vernichtet werden. Sie gehören dem Land Niedersachsen. Ich könnte, wenn ich Staatsanwalt wäre, auch nicht einfach von mir geführte Ermittlungsakten verbrennen. Darüber dürfte ich nicht eigenwillig entscheiden.

Für den Staatsschutz reichte es offenbar, dass man beispielsweise friedlich an einer Demonstration teilnimmt, um überwacht zu werden. Was sagt das Gesetz dazu?

Dafür gibt es rechtlich keine Grundlage. Für eine derartige personenbezogene Datensammlung braucht es das Vorliegen einer Gefahr. Nur weil jemand friedlich an einer Demonstration teilnimmt, geht von ihm oder ihr keine Gefahr aus. Wir wissen außerdem von einer Person, die mal bei einer Gerichtsverhandlung als Besucher anwesend war. Das hat dem Staatsschutzkommissariat der Göttinger Polizei offenbar gereicht, um über sie ebenfalls Daten zu sammeln. Das ist schon gruselig. Insgesamt muss man sagen, dass wir bisher noch viel zu wenig Informationen haben. Aber es reicht aus, um das Ausmaß zu erahnen.

Schon seit Jahrzehnten scheint illegales Datensammeln der Polizei in Göttingen üblich zu sein, immer richtete es sich gegen linke AktivistInnen. Warum gerade in der Universitätsstadt?

Ja, man kann sagen, dass das eine Tradition hat. Auch im gegenwärtigen Fall gibt es Daten, die bereits vor 17 Jahren rechtswi­drig gesammelt wurden. Göttingen war schon in den 1980ern und 90ern eine linke Hochburg, in der es auch noch mehr zur Sache ging. Aber heute? Das ist nicht mal mehr vergleichbar. Wir vermuten, dass den Staatsschützern in den letzten Jahren der eigentliche Auftrag abhandengekommen ist. Also haben sie sich mit dieser absurden Datensammlung selbst wieder einen geschaffen. Dass der Feind links steht und dass dort massenweise Daten gesammelt wurden, hatte dabei aber immer eine Kontinuität.

Sie sind als Anwalt bundesweit tätig. Gibt es in anderen Städten eine ähnliche Praxis des Staatsschutzes?

Davon ist natürlich auszugehen, andernorts wird es sicherlich ähnlich gemacht. Dass es hier in Göttingen regelmäßig auffliegt, könnte damit zusammenhängen, dass die Größenordnung eine andere ist. Wenn es so viele Fälle gibt, muss zwangsläufig auch mal etwas auffliegen. Oder sie sind hier einfach nur zu selbstsicher und zu dreist, sodass diese Fälle immer wieder herauskommen.

Halten Sie es durch die Ausschreitungen um den G20-Gipfel in Hamburg für wahrscheinlich, dass die linke Szene nun noch stärker in den Blick der Behörden gerät?

Als unbedachter Reflex ist dies ja nun sogar vielfach gefordert worden und sicherlich werden die G20-Ereignisse seitens der Polizei auch als vermeintliche Rechtfertigung für weitere ausufernde illegale Datenspeicherungen verwendet werden. Es bleibt aber dabei, dass für alle Maßnahmen der Polizei und auch für eventuelle Strafverfahren nur das maßgeblich ist, was eine Person konkret getan hat und nicht, was für eine Einstellung die Person hat. Ein linkes Gedankengut, das friedliche Teilnehmen an Versammlungen, das Wohnen in Wohngemeinschaften oder das Zuhören bei politischen Veranstaltungen kann auch weiterhin kein Grund für eine personalisierte Datenerhebung sein.

Mehr darüber, wie der Göttinger Staatsschutz die Daten von Linken speichert, lesen Sie in der aktuellen Wochenendausgabe der taz-nord oder am E-Kiosk.

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