Streit um angeblichen Gefährder

Berliner Polizei soll Gefährder leichtfertig frei gelassen haben. Die widerspricht: Mann war nicht eingestuft

Der Fall weckte Erinnerungen an Anis Amri, den Attentäter auf den Berliner Breitscheidplatz: Nach einem rbb-Bericht ließ die Berliner Polizei Mitte Dezember einen festgenommenen Gefährder und Drogenhändler wieder laufen. Er habe an der Warschauer Brücke in Berlin-Friedrichshain Drogen verkauft, als ihn Zivilfahnder vorübergehend festgenommen hätten. An dem Ort habe früher auch Amri früher Drogen verkauft. Wie Amri soll der Mann ein Tunesier sowie „ein abgelehnter und abgetauchter ehemaliger Asylbewerber mit zahllosen Scheinidentitäten“ sein.

Die Berliner Kriminalpolizisten hätten genau gewusst, wen sie vor sich gehabt hätten. Der Mann habe sich zuvor schon dreimal vor der Abschiebung gedrückt und sei untergetaucht.

Nach dem Bericht entbrannte am Mittwoch eine Debatte. „Wir brauchen in Berlin schnellstmöglich Abschiebehaft und Unterbindungsgewahrsam“, erklärte Kerstin Philipp, Landesvorsitzende der Gewerkschaft der Polizei. „Bevor wir diesen Vorfall skandalisieren, sollten wir vielleicht erst einmal darüber nachdenken, welche Möglichkeiten der Rechtsstaat und unsere Haftkapazitäten bieten, um islamistische Terroristen und Gewalttäter von der Straße zu holen.“ Philipp forderte, sich zu vergegenwärtigen, dass nicht die Berliner Polizei entscheide, wer inhaftiert wird. „Ob Haftgründe vorliegen oder nicht, entscheiden Staatsanwaltschaft und Richter. Gefährder zu sein ist leider kein Haftgrund.“

Der innenpolitische Sprecher der AfD, Karsten Woldeit, wiederum kritisierte die Polizei scharf. „Die Berliner Sicherheitsbe­hörden haben aus dem Anschlag vom Breitscheidplatz offensichtlich nicht das Geringste gelernt.“ Stattdessen würden die Fehler aus den Ermittlungen gegen den späteren Attentäter Anis Amri wiederholt. Jeder einzelne Vorwurf gegen den Mann „würde in einem funktionierenden System zur umgehenden Ausweisung führen, aber in Berlin werden solche Leute wieder auf freien Fuß gesetzt und können umgehend in den Untergrund abtauchen.“ Er erwarte vom Regierenden Bürgermeister und seinem Innensenator umgehende und umfassende Aufklärung.

Die Berliner Polizei indes erklärte am späten Mittwochnachmittag, der angeblicher Gefährder sei gar keiner: Kein Bundesland habe den Mann so eingestuft gehabt. Vielmehr sei der Begriff „Gefährder“ fälschlicherweise in einer Gerichtsentscheidung zu einer späteren Haftordnung gegen den Betroffenen aufgetaucht, „ohne dass polizeiliche Erkenntnisse für diese Einstufung vorlagen“.

Bei dem Terroranschlag auf den Weihnachtsmarkt am Breitscheidplatz an der Berliner Gedächtniskirche am 19. Dezember 2016 hatte der Islamist Amri zwölf Menschen getötet, etwa 70 wurden verletzt.

(dpa, bb, taz)