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Am Ende des Sommers

Deutschland (19) – die wöchentliche Kolumne aus der Republik von Henning Kober. Heute: Was übrig bleibt

Erinnerung an eine Woche: Samstag – Muss einen langen Text schreiben, geht aber noch nicht. Kurzer Autor-und-Alkohol-Versuch. Sitze dann vorm Haus in der Sonne, hektisch rauchend. Springen zwei Jungs in kurzen Hosen über den Platz, schreien: „Auf deutschem Boden darf nie wieder ein Joint ausgehen.“ Ein Mädchen, das Chanel tragen könnte, steht da und klatscht.

Sonntag – Ja, ich hab es auch geschaut, das Merkel–Schröder Gespräch. „TV- Duell“, schon als Wort ein herrischer Mogel. Langweilig war’s natürlich auch. Schröder am Schluss ist wie Kohl am Schluss. Und Ronald Reagan zitierende Kandidatinnen begeistern mich absolut nicht. Auch wenn einige schon von der kulturellen Blüte träumen, die in diesem Land aufgehen soll, wenn die Konservativen an der Macht sind. Ihr wünscht euch Restauration, um kreativer zu sein, also bitte, das ist doch peinlich.

Montag – Im Radio spielen sie „I don’t like Mondays“ und ich denke, wie wenig das mit meinem Leben zu tun hat.

Dienstag – Valtin ruft an, meint sich zu fühlen wie Humphrey Bogart und fragt: „Was hältst du davon, wir fahren nach Fontainebleau?“ Das klingt sehr gut, sage ich. Nur ist der Text noch überhaupt nicht fertig geschrieben, aber das will ich nicht sagen und frage nach der Dame. „Keine Schmerzen, nur Schwäche.“ „Sie hat doch sowieso zu große Brüste“, tröste ich. Er ist ein bisschen irre vor Liebe.

Mittwoch – Sitze und trinke mit Adriano. Der ist angerührt vom „Katrina“-Sturm und möchte ein Kind adoptieren. Oder besser zwei, weil er sich mit seinem in New York lebenden Mann nicht einigen kann, ob Junge oder Mädchen. Gehen dann auf die Straße, und an der Ecke neben der Polizei liegt ein Baby im Hauseingang, Augen weit aufgerissen, in eine Decke gehüllt. Adriano will schon anfangen, zu stillen, ist aber nur eine Plastikpuppe in der Dämmerung. Schauen dann Fußball. Ich bin stolz, weil ich schon fast ein ganzes Spiel schaffe. Leider bin ich zwischen der 47. und 50. Minute auf Toilette, und dann kann man ja auch nach Hause gehen.

Donnerstag – An der Tür klingelt es. Lauter, dauernd jetzt. Balanciere aus dem Bett und merke im Flur, es ist kurz nach sieben, am Morgen. „Hallo, sind Sie da?“. Schaue durch den Spion. Typ im Blaumann. „Ich bin nicht zu Hause.“ „Wir wollen den Luftfilter reinigen.“ Herr des Himmels, womit hab ich das verdient? Drehe „The Others“ sehr laut. Schreibe mit dem liegen gebliebenen Lippenstift „Fuck off“ gegen das Fenster. Und es geht mir besser. Jetzt muss ich nur noch den Text fertig schreiben.

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