UKRAINE: DIE REGIERUNGSKRISE WAR ABZUSEHEN UND IST DOCH TRAGISCH
: Ernüchterung der Demokraten

Es gibt eine Regierungskrise in Kiew und alle, Medien, Minister, Bevölkerung, reden darüber. Das ist zunächst einmal gut. In der Ukraine gibt es seit den Tagen der „orangenen Revolution“ des vergangenen Jahres ein Maß an politischer Transparenz, die unter dem alten Kutschma-Regime nicht möglich gewesen wäre. Außerdem hatte auch niemand damit gerechnet, dass der Übergang von einer Diktatur zu einem demokratischen System ohne Verwerfungen ablaufen würde. Doch das war’s auch schon an beruhigenden Nachrichten.

Mit der Entlassung der Regierung unter Ministerpräsidentin Julia Timoschenko setzt der Held der orangenen Revolution, Wiktor Juschtschenko, einen Schlussstrich unter einen langen Streit zwischen Ministern, die sich gegenseitig der Korruption bezichtigten. Zunächst sieht es also so aus, als ob dem Präsidenten gestern ein Befreiungsschlag gelungen wäre.

Allerdings ist nicht auszuschließen, dass er selbst Teil des Machtkampfs ist und sich in der Krise zwei Ereignisse ankündigen, die die politischen Kräfte in Kiew gänzlich neu gewichten werden. Ab Januar tritt eine Verfassungsänderung in Kraft, die dem Amt des Ministerpräsidenten eine Fülle von Kompetenzen bescheren wird – zu Ungunsten des Präsidenten. Zum anderen wird im Frühjahr ein neues Parlament gewählt. Das Angebot Juschtschenkos an Timoschenko, zu diesen Wahlen in einem Bündnis anzutreten, hat die eigentliche Ikone der Revolution abgelehnt. Die Ministerpräsidentin verfolgt ihre eigenen Interessen – und wäre ab Januar eine ernst zu nehmende Gegenspielerin des Präsidenten gewesen.

Das Signal, das Präsident Juschtschenko mit der Entlassung der Regierung aussendet, ist fatal. Als schlicht nicht regierungsfähig erscheinen nun diejenigen, auf denen die Hoffnung auf eine andere, demokratische Ukraine lag. Die eigene Bevölkerung, die Juschtschenko erst ins Amt verholfen hat, wird demoralisiert. Und auch auf die demokratische Opposition der Nachbarn Weißrussland und Russland dürfte die Regierungskrise in Kiew ernüchternd wirken. HEIKE HOLDINGHAUSEN