Wir werden überwacht

Die Göttinger Polizei hat über sie Informationen gesammelt. Und auch wenn die Akten inzwischen vernichtet worden sein sollen, bleibt das Gefühl, beobachtet zu werden: Wir haben vier Linke gebeten, uns ihre Geschichte zu erzählen

Kommt in die Akte: Antifa-Aktion gegen rechts vor einem Göttinger Mahnmal Foto: Swen Pförtner/dpa

Ich habe überhaupt keine Ahnung, seit wann ich überwacht werde. In den Akten über mich taucht immer wieder auf, dass ich 2013 in Bad Nenndorf an einer Sitzblockade gegen einen Naziaufmarsch teilgenommen habe. Rechtfertigt das schon, mich als „staatsgefährdend“ anzusehen? Ich bin bei der Grünen Jugend aktiv und auch in der Geflüchtetenarbeit. Mit der Grünen Jugend haben wir damals schon Dialoge mit der Göttinger Polizei geführt und der Polizeipräsident betonte die vertrauensvollen Dialoge mit uns, obwohl er gleichzeitig wusste, was da in seiner Direktion mit mir und anderen gemacht wird.

Weiterhin bleibt es extrem unbefriedigend zu sehen, dass auf politischer Ebene nichts gegen diese Überwachung unternommen wird. Es wird so getan, als seien das alles Einzelfehler gewesen und es müssten keine strukturellen oder personellen Konsequenzen gezogen werden. Das ist grotesk und so kann eine Demokratie nicht funktionieren.

Ich habe mich anfangs gefragt, warum ich so interessant für den Staatsschutz bin. Haben die nichts Besseres zu tun, als in meine Privatsphäre einzudringen? Wie aus den Akten zu entnehmen ist, haben sie versucht, mich als schlimmsten Gewalttäter darzustellen. Ich sollte völlig nach außen gedrängt werden, als sei ich so was wie ein linksextremistischer Gewalttäter. Das bin ich nicht und deshalb ist es so bedenklich, dass ich vielleicht immer noch überwacht werde.

Das zu realisieren hat relativ lange gedauert. Ich hielt es anfangs für einen Scherz, als mir mein Anwalt mitgeteilt hat, dass ich überwacht werde. Ich dachte, dass das nicht wahr sein kann.

Till*, 26, Psychologiestudent

Als herauskam, dass auch mein Name und Bilder von mir auf den Stellwänden und in den Ordnern der Göttinger Polizei stehen, war ich natürlich zunächst erschrocken und empört, aber nicht unbedingt überrascht. Man hat sich das ja immer mal gedacht, wenn man politisch aktiv ist.

Wenn du dann aber erfährst, was konkret alles über dich dokumentiert wurde, ist das heftig. Es war ja letztlich auch Zufall, dass das öffentlich wurde und ich erfahren habe, dass ich da auch auf der Beobachtungsliste war.

Dabei sind meine Daten schon einige Jahre alt, ich lebe mittlerweile nicht mehr in Göttingen. Damals aber, und das finde ich besonders erschreckend, habe ich für eine NGO gearbeitet und hatte auch im Rahmen von Netzwerkarbeit beruflichen Kontakt mit der Göttinger Polizeidirektion. Und dass die mich wiederum ausspähen, ist ja besonders erschreckend. Einerseits arbeiten die mit mir zusammen, andererseits schnüffeln die herum, was darüber hinaus meine politischen Einstellungen sind und was ich in meiner Freizeit mache. Das kann einfach nicht angehen!

Die ganze Datensammelei ist zwar in meinem Fall schon zehn Jahre her, aber das kann Betroffene ja noch lange begleiten. Mittlerweile bin ich in einer relativ öffentlichen beruflichen Position, und dann kann eine solche Kriminalisierung schon einen weitreichenden Einfluss haben. Aber wie gesagt, überraschend kam das alles nicht unbedingt. Viel eher fühlte ich mich darin bestätigt, dass das einfach wahnsinnig einfach und schnell geht, vom Staat beobachtet zu werden.

Julia*, 40, Hochschullehrerin

Ich bin linkspolitisch und gewerkschaftlich aktiv, außerdem war ich während des Studiums hochschulpolitisch engagiert. Offensichtlich war es das, was ich mir aus Sicht des Staatsschutzes habe zu Schulden kommen lassen habe. In den Akten, die ich einsehen konnte, taucht zumindest ein Porträtfoto von mir auf, das sieben oder acht Jahre alt ist. Da ich damals erst kurz zuvor nach Göttingen gezogen bin, haben die also seitdem die gesamte Zeit im Fokus.

Dass die Göttinger Polizei rechtswidrig Daten über Linksaktive sammelt, ist ja letztlich keine große Neuigkeit. Man kennt sie mittlerweile gut genug, denn das zieht sich ja wie ein roter Faden durch die jüngere Geschichte. Von daher war es auch für mich keine allzu große Überraschung, als ich davon erfahren habe.

Ich will mich dadurch auch nicht einschränken lassen. Vor allem nicht von einem Staatsschutz, der offensichtlich nicht verstanden hat, was er da, politisch und rechtlich betrachtet, macht. Ich will ganz bewusst weiter politisch dafür einstehen, was ich für richtig und wichtig halte.

Sowohl die Staatsanwaltschaft als auch die Polizei haben, seitdem diese Geschichte herauskam, keinerlei Anstalten gemacht, die Sache aufzuklären. Dementsprechend habe ich wenig Hoffnung, dass sich daran noch etwas ändern wird.

Vielmehr ist es bisher eher so, dass sie sich gegenseitig decken. Und das ist hochgradig erschütternd. Wenn man nicht eh schon Zweifel an der Polizei im Allgemeinen und dem Staatsschutz im Besonderen hatte, dann wurden die Zweifel durch die Geschichte keineswegs geringer.

Martin*, 29, Historiker

Natürlich hatte ich, bis es herauskam, nicht das Gefühl, dass ich beschattet werde. Ich bin ja schließlich nicht in einer professionellen Terrorgruppe aktiv, die dafür geschult ist. Als mein Anwalt mich anrief und mir mitteilte, was der Staatsschutz da macht, hat es mir dann doch schon Angst gemacht, wie wenig es braucht, um ins Visier zu geraten. Ich weiß aus den Akten, dass die mich mindestens seit drei Jahren beobachten. Damals habe ich eine Veranstaltung besucht, die sich mit der Austeritätspolitik der Europäischen Zentralbank auseinandersetzte. Ich wurde da nicht kontrolliert, also wussten die schon, wie ich aussehe.

Seitdem bin ich deutlich vorsichtiger im Alltag geworden und habe mich öfters gefragt, ob ich wohl gerade überwacht werde. Wenn ich mit Freund*innen telefoniere, habe ich jetzt eine Schere im Kopf und achte darauf, was ich sage. Auch wenn ich das nicht will. Denn gleichzeitig sehe ich es nicht ein, mich dadurch einschüchtern zu lassen. Ich bin aus gutem Grund in der antifaschistischen Szene in Göttingen aktiv. Man kann hier gut leben und deshalb engagieren wir uns, dass das so bleibt.

Fakt ist aber die Erkenntnis nach dieser Geschichte, dass die Polizei nicht dazu da ist, mich zu schützen, sondern konsequent meine Rechte missachtet und bricht. Es wurde auch nach der Aufdeckung öffentlich gelogen. Bisher folgten daraus keine Konsequenzen und ich glaube auch nicht, dass noch welche folgen werden. An einer konsequenten Aufklärung besteht weder bei der Polizei noch bei der Politik ein wirkliches Interesse.

Jens*, 26, Sozialarbeiter

*Namen geändert

Protokolle André Zuschlag