Dopingtest für Romantik

Esel für den Papst, Doping im Klassenzimmer, Treibstoff fürs Staatstriebwerk: Die RuhrTriennale erteilt in ihrem Literaturprogramm Lektionen in Romantik. Mitte September lehrt Michel Houellebecq

VON TOBIAS KOTH

Das Literaturprogramm der RuhrTriennale findet in diesem Jahr in einem Unterrichtsraum statt. Sorgfältig nachgebaut haben ihn die Bühnenbildner des Festivals in einem Seitenschiff der Bochumer Jahrhunderthalle. Korrespondierend zum romantischen Schwerpunkt der Triennale, sollen harte Holzstühle, Wandtafel und Pausenbrot eine „Schule der Romantik“ entstehen lassen. Eine derartige Bildungsanstalt hat es nie gegeben. Allerdings gab Heinrich Heine seiner ironischen Reprise auf die Epoche diesen Titel. Gerade weil sie sich von allem Schulmäßigen fernhalten und ihre Sehnsucht nach dem Unendlichen lieber in verrätselte Literatur-Fragmente zwängen mochten, zeichnete der spottlustige Düsseldorfer Dichter die Romantiker mit gnadenloser Ironie als renitente Schulmeister.

Thomas Oberender, der Kurator des Literaturprogramms, nimmt Heines Rede beim Wort und erfindet eine eigene Version: Prominente Zeitgenossen aus Kultur und Politik sollen in den Fächern Englisch, politische Bildung, Französisch, Kunst, Musik und Sachkunde unterrichten – gefragt sind ihre Sichtweisen auf die Epoche und eine ironische Auseinandersetzung mit dem Thema „Romantik“.

Es traf sich gut, dass die amerikanische Rocksängerin Patti Smith die Reihe mit einer Huldigung an den neuen deutschen Papst eröffnete. Befand doch Heine gerade den „Statthalter Christi“ als mitverantwortlich für die freiwillige Haft der Romantiker in einem katholischen „Geisteskerker“. Romantik sei nichts mehr als der Versuch, ein „System traditioneller Symbole“ wiederzubeleben aus finsterer vorreformatorischer Zeit. Mit der „Milch der päpstlichen Eselin“ (einst das Fortbewegungsmittel des Pontifex), wolle sich die „schwindsüchtige Kunst“ der jenseits verliebten Epoche „stärken“, so Heines literaturkritischer Dopingbericht. Und als die sonntägliche Englischstunde der unausgeschlafenen Sängerin Smith allmählich zum Religionsunterricht geriet, ahnte man etwas von dieser klerikal stimulierten Gottestrunkenheit. Patti Smiths Lektion verwandelte das Bochumer Klassenzimmer in ein Wiederauferstehungsfest, an dem Heines Spott ein wohlvertrautes Opfer gefunden hätte.

Ganz ohne religiöse Aufbaupräparate kamen drei Wochen später der Bundesinnenminister und seine Tochter bei ihrer Lektion in „politischer Bildung“ aus. Die Schauspielerin Jenny Schily rezitierte ein Fragment von Novalis und zeigte den romantischen Bergwerksdirektor als verträumten Politikberater. Vater Otto ließ sich gerne ein auf die Vision von einem poetischen „Staatstriebwerk“, dem nur die gegenseitige Liebe zwischen Bürgern und Souveränen als Treibstoff genügen soll. Aber trotz aller politischer Poesie, legte der strenge Hüter der inneren Sicherheit Wert auf die Prosa autonomer Politikbereiche und wollte die „Staatsverbindung“ partout nicht als „Ehe“ verstehen wie seinerzeit Novalis. Auf die Frage des intelligent moderierenden Thomas Oberender, ob die Auflösung der gegenwärtigen Politik in bloße Organisation die Ursache für den verstiegenen Idealismus der alten und neuen Romantiker sei, betonte Schily die Rolle der Kultur als dritter staatstragender Säule neben Politik und Wirtschaft. Nicht Liebe oder religiöser Wahn, sondern bildende Kunst, Literatur und vor allem Musik seien die Kraftquellen der Demokratie. In Gedanken ganz beim Wahlkampf, huldigte der Minister noch dem derzeitigen Kunstliebhaber im Kanzleramt, bevor er den Unterricht mit einer Schumannschen „Kinderszene“ am Klavier beschloss.

Bis hierher zeigte das Literaturprogramm der RuhrTriennale die Romantik als ein wunderliches literarisches Spielfeld, auf dem sich zitier- und assoziationsfreudig herumtollen lässt, eine Echokammer, in der der Sound der Romantik ironisch und mit viel Gegenwartsbezug zurück tönt.

In der Schule der Romantik werden auch der französische Schriftsteller Michel Houellebecq (18. September), der deutsche Schauspieler Traugott Buhre und der international renommierte Berliner Dokumentarfilmer Harun Farocki versuchen, im Sinne Heines ein vergnügliches „Feuerwerk der Geistesraketen“ abzufeuern und den Doping-Test der romantischen Ironie zu bestehen.