: Hiphop mit Spieluhr
„Magic Light“: Junge Tänzer aller Sparten buhlen in 15 am Hauptbahnhof übereinander gestapelten Containern um die Gunst des Publikums
von Karin Liebe
Der Hamburger Hauptbahnhof ist nicht gerade ein Ort, an dem man sich länger als unbedingt nötig aufhält. Selbst die Mozart- und Haydnklänge am Ausgang Hachmannplatz dienen nicht der Erbauung der Reisenden, sondern der Vertreibung von Drogensüchtigen und Dealern.
Umso erfreulicher, dass der Platz derzeit für wenige Tage zum Ort des erwünschten Müßiggangs und Kunstgenusses wird. Und das ohne Mega-Event-Charakter, Feuerwerksgetöse und Würstchenbudengeruch. Nicht einmal Eintritt kostet die von der Hamburger Tanzinitiative initiierte und produzierte Performance MAGIC light.
Stehvermögen sollte man für die 90 Minuten dauernde Show allerdings mitbringen – und Neugierde auf zeitgenössischen Tanz. Bis Sonntagabend findet sie noch vor dem Bieberhaus in 15 mit Neonröhren erleuchteten Schiffscontainern statt. Letztes Jahr stand die Container-Installation unter dem Titel Glamour auf dem Spielbudenplatz – mit so großem Erfolg, dass Irmela Kästner und Barbara Schmidt-Rohr das Konzept am neuen Spielort neu aufgelegt haben.
Nacheinander, teils auch parallel, buhlen jetzt wieder internationale Tänzer und diesmal auch ein Schauspieler um die Aufmerksamkeit des Publikums. Die temporären „Bewohner“ der in drei Reihen zu je fünf Containern übereinander gestapelten Kästen werden zu Beginn mit einem Hebekran auf ihre Minibühne gehievt – ein stimmungsvoller Anfang, der an laue Sommerabende an der Elbe mit Blick auf den Containerhafen erinnert.
Während das Publikum jedoch alles voll im Blick hat, ist der Sichtkontakt der Künstler untereinander durch Wände zwischen den Waben versperrt. Aber sie hören einander. Vor allem den Hamburger Schauspieler Matthias Breitenbach. Er stimmt mehrfach einen zornigen Großstadtblues mit Texten des 1975 verstorbenen deutschen Pop-Schriftstellers Rolf Dieter Brinkmann an. Dessen Lamento über die kaputte Stadt passt zwar vordergründig in die harte Hauptbahnhofszenerie, bleibt aber als sperriger „Zwischenruf“ ein völlig humorfreier Fremdkörper inmitten der mal verspielten, mal kraftvollen Tanzstücke.
Voller Power hiphoppen Vadim Bauser und Konstantin Johannes um die Wette. Voller Wut über die egozentrische Arbeitsgesellschaft treten die drei Performer von Tanz.Mass.Name in die Zwischenwände. Subtil-ironisch agiert Stephanie Cumming als An- und Ausziehpuppe, während Yolanda Gutierrez „Körperbäckerei“ per Nudelrolle und Teigfladen betreibt.
Das letzte Wort bei dieser im Minutentakt wechselnden Peepshow, die erhellende Spotlights auf den modernen Tanz wirft, haben allerdings fünf klassische Balletteusen. Im weißen Tutu drehen sie sich um sich selbst – wie Spieluhren aus einer längst vergangenen Zeit.
nächste Vorstellungen: Sa, 10.9., 15 + 20.30 Uhr sowie So, 11.9., 20.30 Uhr, Hachmannplatz am Hauptbahnhof
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen