die woche in berlin
: die woche in berlin

Ist der Streit über Bausenatorin Katrin Lompscher (Die Linke) jetzt wirklich beigelegt? Und warum arbeiten quer eingestiegene Lehrkräfte besonders oft an Brennpunktschulen? Dürfen sich Bettler auch mal ein Bier leisten? Fest steht jedenfalls eins: Frank Castorf kehrt nicht an die Volksbühne zurück

Genugtuung für Frank Castorf

Kann Berlin sich feiern beim Theatertreffen?

Ein Strafzoll für die Stadt, die Castorf abgewickelt hat

Das treibt einem schon das Grinsen ins Gesicht. Frank Castorf ist mit seiner Inszenierung „Faust“, die im März 2017 an der Volksbühne Premiere hatte, zum Theatertreffen im Mai eingeladen, wie am Dienstag bekannt gegeben wurde. Die Berliner Festspiele, die das Theatertreffen ausrichten, fragten deshalb bei Chris Dercon, Castorfs Nachfolger als Intendant der Volksbühne, an, ob der „Faust“ dort gespielt werden könne. Dercon hätte das gerne gemacht. Doch Castorf ließ sich die Genugtuung nicht entgehen, Nein zu sagen; in diesem Haus spielt er nicht.

Aber es ist schon ein Glücksfall, dass das aufwendige Bühnenbild von Aleksandar Denić, samt Pariser Metro, überhaupt noch existiert. Die Festspiele haben vorsorglich zusätzliche Gelder beim Senat und der Lottostiftung beantragt, um die Aufführung in ihr Haus in der Schaperstraße zu bringen. Das hat etwas von Strafzoll für die Stadt, die diesen Künstler als Intendant abwickelte. Die Einladung zum Theatertreffen spricht ihm noch mal die volle Anerkennung aus.

Zehn Stücke können die sieben Kritiker, die die Jury bilden, jedes Jahr auswählen. Sie kommen diesmal wieder aus den bekannten Theaterstädten Hamburg, Wien, Zürich, München und drei eben aus Berlin. Dass aus der Schaubühne Thomas Ostermeiers Bearbeitung von Didier Eribons „Rückkehr nach Reims“ ausgewählt wurde, sagt vielleicht mehr über den Wunsch nach einem politisch relevanten Stück aus als über die Klugheit dieser Inszenierung. Jan Feddersen, der für die taz darüber schrieb, sah es eher als eine mittelschichtige, mitgefühlige Projektion über Abgehängte, mehr von Goodwill als von Analyse gezeichnet.

Sehr speziell ist das dritte Projekt aus Berlin, von den Berliner Festspielen selbst produziert, in ihrer Reihe „Immersion“, die grenzüberschreitenden Formaten gewidmet ist. „National­theater Reinickendorf“ heißt der Erlebnisparcours von Vegard Vinge und Ida Müller. Meist spielen sie eine Nacht durch, jedes Mal anders, auch unter Einbeziehung der Zuschauer. Einerseits ist alles handgemacht und -gemalt, andererseits wird der Besucher verschluckt wie der Nutzer einer virtuellen Welt. Etwas für Insider und Spezialisten, die viel Zeit in den oder die Besuche investieren, um dann von den besonderen Erlebnissen, die nur in dieser Nacht zu haben waren, zu schwärmen.

Katrin Bettina Müller

Bock auf Brennpunkt?

Quereinsteiger unter-richten in Problemkiezen

Es ist ein Thema, das bleiben wird, nicht nur von dieser Woche, sondern für die nächsten Jahre: der chronische Lehrermangel und die vielen Seiteneinsteiger, die es deshalb braucht, damit Unterricht stattfinden kann. Passend zum Ende des ersten Schulhalbjahres – Freitag gab’s Zeugnisse – sorgte diese Woche eine Studie der Bertelsmann-Stiftung für die bei dem Thema zuverlässig einsetzende mediale Schnappatmung: Der Lehrermangel an Grundschulen, so die Experten, werde sich bis 2025 auf 35.000 fehlende PädagogInnen verschärfen. Es gebe schlicht zu wenig Uni-AbsolventInnen für wachsende Schülerzahlen und das Groko-Ansinnen einer flächendeckenden Ganztagsschule. Die Bertelsmann-Experten empfehlen: Seiteneinsteiger, natürlich gut qualifiziert, damit die Unterrichtsqualität nicht leide.

In Berlin ist das längst Alltag: Rund 40 Prozent der zum zweiten Schulhalbjahr neu eingestellten Lehrkräfte haben den Beruf nicht studiert, hängte sich die Bildungsgewerkschaft GEW am Mittwoch mit einer Pressemitteilung ins Fahrwasser der Studie. Und natürlich sind diese SeiteneinsteigerInnen oft nicht so gut qualifiziert, wie sie sein sollten (ein 60 Millionen-Euro-„Qualitätspaket Quereinstieg“ des Senats soll das ändern), und vielleicht leidet die Unterrichtsqualität deshalb doch (künftige Pisa-Tests werden das zeigen).

Vielleicht aber auch nicht: Da war nämlich diese Woche auch noch die Antwort der Bildungsverwaltung auf eine Anfrage der Grünen-Abgeordneten Marianne Burkert-Eulitz. Dabei kam heraus, dass ausgerechnet Brennpunktschulen besonders viele Seiteneinsteiger einstellen. Die GEW, mit den neuen Einstellungszahlen für Februar munitioniert, mahnte ebenfalls: Mehr als die Hälfte der ungelernten PädagogInnen lehren an Schulen in Mitte, Neukölln und Spandau.

Ja, das kann zur weiteren strukturellen Benachteiligung dieser Schulen führen. Was die Statistiken aber nicht sagen: mit welcher Motivation die Quereinsteiger an den sogenannten Brennpunktschulen aufschlagen. Klar, die Schulen mit einem guten Ruf können sich angesichts des Fachkräftemangels die Rosinen (also die Fachkräfte) herauspicken. Aber vielleicht bleiben die Quereinsteiger nicht schlichtweg „übrig“, sondern suchen sich den Arbeitsort Brennpunkt bewusst aus? Das wäre tatsächlich mal eine spannende Statistik.

Denn es gibt Schlimmeres als Lehrer, die Bock auf Brennpunkt haben – im Gegenteil: Sie sind genau das, was diese Schulen brauchen. Anna Klöpper

Letzte Chance für Lompscher

Streit über die linke Bausenatorin

Katrin Lompscher, die Senatorin für Stadtentwicklung und Wohnen von der Linkspartei, wird also den Steuerungskreis leiten, der Konflikte beim dringend nötigen Wohnungsbau lösen soll. Das hat Regierungschef Michael Müller (SPD) am Mittwoch nach der Senatsklausur angekündigt.

Für die SPD-Fraktion muss das so sein, wie den Bock zum Gärtner zu machen: Sie hatte Lompscher bei ihrer eigenen Klausurtagung vor zwei Wochen hart attackiert und darauf gedrängt, dass Müller selbst die Steuerung übernimmt.

Ist Lompscher also die Gewinnerin einer koalitionsinternen Auseinandersetzung? Ist Müller, der sich selber kritisch zu Lompschers Vorgehen beim Wohnungsbau geäußert hatte, eingeknickt? Ist die SPD-Fraktion düpiert?

Könnte man meinen, und nicht nur für die CDU-Fraktion, die das genüsslich kommentiert, sieht es so aus, als ob die SPD-Fraktion den Mund zu voll genommen habe. Wäre da nicht ein Wörtchen in jenen Sätzen, mit denen Müller am Mittwoch die künftige Entscheidungsstruktur beim Wohnungsbau beschrieben hat. „Es muss nicht sein, dass jedes Thema sofort in der Senatskanzlei landet“, sagte Müller auf Journalistenfragen, wie das denn nun sei mit der SPD-Forderung, das zur Chefsache zu machen.

Nicht sofort muss das Thema also in Müllers Senatskanzlei. Hinter diesem Wörtchen ist die kaum verhüllte Drohung zu erkennen, dass dies eine letzte Chance für Lompscher sei. Entweder es klappt mit der neuen Struktur und dem von der Senatorin geführten und mit Staatssekretären besetzten Steuerungsgremium. Oder Müller holt die abschließende Entscheidungskompetenz doch noch zu sich ins Rote Rathaus.

Denn zu sehr übte der Regierende Bürgermeister auch am Mittwoch noch Kritik an der Wohnungsbaupolitik, sah das Land hinter der angestrebten Zahl neu gebauter Wohnungen zurück und lobte ausdrücklich das 28 Seiten starke Lompscher-kritische Papier der SPD-Fraktion zu diesem Thema.

Auch wenn Lompschers Parteifreund und Senatskollege Klaus Lederer sich mühte, das Ganze als „Pillepalle“ abzutun: Ausgestanden ist die Sache längst noch nicht. Stefan Alberti

Smoothie statt Selbst-bestimmung

Lebensmittel der Grünen Woche gehen an Arme

Zwölf Tonnen übrig gebliebene Lebensmittel von der Grünen Woche hat die Berliner Tafel Bedürftigen in Obdachlosenunterkünften und Stadtmissio­nen an den zehn Messetagen bis einschließlich letzten Sonntag gebracht. Und es ist wirklich nicht leicht, eine Aktion zu kritisieren, die nicht nur verhindert, dass Essen verschwendet wird, sondern auch, dass Menschen hungrig bleiben. Es ist ja schön, dass Menschen sich ehrenamtlich engagieren, um anderen etwas Gutes zu tun. Kritisieren kann man aber, dass die einen überhaupt zwölf Tonnen übrig haben, während die anderen ohne diese Reste gar nichts hätten.

Wer nichts zu essen hat, verliert damit einen großen Teil der Entscheidungsgewalt über das eigene Leben. Das ist wie bei den Leuten, die Bettelnden einen Kaffee oder ein Brötchen kaufen statt Geld zu geben: Vielleicht will der Mensch gar kein Brötchen, sondern einen Salat, Schokolade oder einen Karamell-Soja-Latte. Er oder sie sollte selbst frei entscheiden können, anstatt von der Gnade und Willkür anderer abhängig zu sein. Das ist das eigentliche Problem – das oft hinter dem guten Gewissen verschwindet.

Die Kritik gilt dabei nicht denen, die Obdachlosen etwas schenken, die im Supermarkt eine Packung Nudeln mehr kaufen und in den Tafel-Kasten am Ausgang stellen, auch nicht jenen, die Bettlern nicht zugestehen wollen, sich auch einmal ein Bier zu kaufen.

Die Kritik gilt einem Staat, der keine bezahlbaren Wohnungen anbietet, der so geringe Hartz-IV-Sätze oder Renten zahlt, dass Emp­fänger*innen keine andere Wahl bleibt, als sich in die Tafel-Schlange zu stellen, und der den Umgang mit dieser Not der Wohltätigkeit überlässt.

Das Ergebnis einer solchen Politik ist, dass man sich ärgert, wenn Obdachlose, die sich weder den Eintritt zur Grünen Woche noch etwas zu essen leisten können, dankbar sein sollen für die Reste der veganen Smoothies und des Biobauernbrots.

Dass Menschen sich genug zu essen leisten können, sollte selbstverständlich sein, denn es ist ihr Recht. Und dieses zu garantieren ist Aufgabe des Staates – nicht die von Mildtätigen oder Ehrenamtlichen.

Hannah El-Hitami

Dass Menschen sich genug zu essen leisten können, sollte selbstver-ständlichsein

Hannah El-Hitamiüber Lebensmittel der Grünen Woche für die Berliner Tafel