Half An Hour Party People

Kurz, sehr solide und dann auch noch mit Animation: Die Kaiser Chiefs aus Leeds machten aus ihrem Konzert im ausverkauften Postbahnhof mit schwül-launigen Hits einen Pubbesuch in den Tropen

VON RENÉ HAMANN

Der ursprüngliche Plan war ja: endlich die wohl verdiente Pauschalreise antreten, auf einer fernen Insel sitzen und in der Sonne über MP3-Spieler „Oh My God“ hören – „Oh my god I can’t believe it, I never been this far away from home.“

Aber dann kamen Verzagtheit, „Katrina“, die explodierenden Kerosinpreise, das Verschwinden des supergünstigen Angebots aus den Auslagen des Internetreisebüros und schließlich der Auftrag, an einem indianischen Sommerabend in den ausverkauften Postbahnhof zu stiefeln, um die Kaiser Chiefs persönlich zu sehen. Doch auch so glich der Abend einer Reise in den Süden: eine lange Schlange wie vor einem Flughafenschalter. Leute ohne Tickets. Abfertigung. Schon auf dem schick erstrahlten Postbahnhof staute sich die Hitze, im Klub selbst gab es gar keine Luft. Eine Vorband spielte auf der Leinwand, draußen lockte eine Strandwelt inklusive Pool und Sandbar. In der ausgebauten Scheune, die den Konzertsaal darstellt, war es hingegen kaum auszuhalten. Der Laden knallvoll mit jungen Leuten. Brillen schmolzen dahin. Wie viele Teenies würden kollabieren? Und warum trifft es immer Mädchen zwischen 12 und 15? Das erste wurde noch vor dem Konzert abtransportiert. Erstaunlicherweise blieb es das einzige. Vielleicht waren die meisten doch älter.

Komisches Popbiz: Bei der All Girl Summer Fun Band waren im letzten Jahr handgezählte 32 Menschen zugegen. Weil es sich um eine Gitarren spielende Frauenband aus einer amerikanischen Vorstadt handelte, die eine eher kleine Plattenfirma hinter sich weiß? Hier aber kamen also die Kaiser Chiefs zu den Klängen von „Money For Nothing“, dem MTV-Song der Dire Straits mit Gastsänger Sting, auf die Bühne. Fünf Jungs aus Leeds, England.

Der Schlagzeuger trug seinen Namen auf dem T-Shirt. Der Bassist sah aus wie aus einer Siebziger-Funkband geklaut, die eben live einen Pornofilm-Soundtrack einspielen will. Ganz in Weiß, lockige Haarpracht, Zehntagebart. Der Gitarrist könnte auch bei den Herman’s Hermits gespielt haben, in einer Beat-Club-Aufzeichnung. Der Keyboarder heißt Peter und kam in Schwarz. Er trug eine rote Krawatte und einen albernen Hut, wirkte aber sonst ganz sympathisch. Sänger Ricky Wilson ist so der Typ Klassenclown, eine allürenfreie Rampensau, die fast alle Register ungezwungener Massenunterhaltung ziehen kann. Er sprang und hüpfte, warf nachlässig mit gerade noch benutzten Perkussionsinstrumenten herum, war sich auch für Stagediven, Beifall-Animation und dergleichen Nummern nicht zu schade. Bei der Quotenballade griff er sich ein Fräulein aus der Menge und legte mit ihr einen Schwof hin. Applaus für Lisa. Dann wieder warf er sein Mikro über eine Deckenstange und spielte Flaschenzug. Äußerst gekonnt übrigens.

Und die Musik? Die ist solider Pubrock, Britpop-Style. Nicht so nassforsch wie Maxïmo Park, nicht so clever wie Franz Ferdinand, aber eigen und korrekt. Manchmal wirkten die Songs etwas unfertig, aber das hat ja schon die Libertines nicht davon abgehalten, von der Menge überschätzt zu werden. Für eine halbe Stunde intelligenten Partyspaß reichte es aber allemal, mehr als eine Platte haben die Chiefs noch nicht, angeblich soll nach der zweiten Schluss sein. Und die Hits sind eben die Hits.

Der Opener „Na Na Na Na“ ist so einer, und das trotz der Zeilen „It does not move me/ it’s not the kind of thing I like“. Ironie und Unerschütterlichkeit, das können die Kaiser Chiefs. „Everyday I Love You Less And Less“ ist natürlich auch so ein Hit, und „I Predict A Riot“ auch. Der größte ist, klaro, „Oh My God“ und kommt zuletzt. Vor der Zugabe.

Spätestens hier hatten sie den Laden im Griff. All die Mädchen mit den sichtbaren Pockenimpfnarben, all die Jungs in humorigen T-Shirts – Favorit des Abends: „Too Dead To Live Fast“ – hüpften auf und nieder und grölten mit. Das sah gut aus und fühlte sich gut an. Dass sie, im Durchschnitt fünf U-Bahn-Haltestellen von zu Hause entfernt, das Heimweh des Sängers mitbesangen, war dabei egal. Vielleicht fühlten sie sich tatsächlich auch weit weg. Davongetragen durch Hitze und Popmusik. Der Postbahnhof eine tropische Insel.