: Wider den Zynismus
Steffen Siegmund ist das jüngste Ensemble-Mitglied des Hamburger Thalia-Theaters und hat in diesem Jahr den Boy-Gobert-Preis bekommen. Es lief aber nicht immer so gut
Von Hanna Klimpe
Eines hat Steffen Siegmund, jüngstes Ensemble-Mitglied des Hamburger Thalia-Theaters und diesjähriger Boy-Gobert-Preisträger, doch sehr erstaunt: Dass er immer wieder zu hören bekommt, er sei ein „Körperspieler par excellence“. „Ich finde schon die Einteilung schwierig“, sagt der 25-Jährige. „Für mich ist es eher so: Ich komme vom Kopf und der Körper führt aus. Im besten Fall habe ich ja sechs bis acht Wochen intensive Probenzeit hinter mir, und der Text ist so durch mich durchgegangen, dass ich nicht noch was darstellen muss. Ich gehöre nicht zu den Schauspielern, die sich überlegen, was man in einer Situation jetzt noch Krasses mit seinem Körper machen könnte.“ Kurz denkt er nach. „Vielleicht ist meine Anbindung aber auch besser, als ich das immer angenommen habe.“
Der Einstieg direkt von der Hochschule für Musik und Theater in Leipzig ins Thalia-Theater zur Spielzeit 2013/14 verlief für den Schauspieler ziemlich ungewöhnlich: Gleich seine erste Rolle war in Luk Percevals Erste-Weltkrieg-Collage „Front“ mit belgischen und deutschen Schauspielern, die ein Jahr auf Tournee unter anderem durch Belgien, Frankreich, Großbritannien, Bosnien-Herzegowina, Tschechien, China und Russland ging – so viel ist ein Ensemble-Spieler am Stück so gut wie nie unterwegs.
Für Siegmund war diese Produktion ein zweischneidiges Schwert. „Mehrsprachig zu arbeiten, mit 21 Jahren in so vielen Ländern unterwegs zu sein und so viele Theatersysteme und Theaterkulturen kennenzulernen, war eine tolle Erfahrung“, sagt er. „Es war auch großartig, gleich bei der ersten Produktion mit einem Regisseur wie Luk Perceval zusammenarbeiten zu können.“ Andererseits habe ihm diese Produktion den Einstieg ins Ensemble erschwert. „Ich war das einzige feste Ensemble-Mitglied in der Produktion, und wir waren eine tolle Truppe. Aber als die Tour vorbei war, waren die eben auch weg. Er kam dann kam 2013 in ein gefestigtes Ensemble-Gefüge – als Jungschauspieler da seinen Platz zu finden, war nicht ganz einfach.
Siegmund spielte hauptsächlich Übernahmen und Kinderstücke. In der Garage der Gaußstraße ist er nun in „Das Ende von Eddy“ nach dem Roman des Eribon-Schülers Edouard Louis zu sehen. Nach vier Jahren im Ensemble ist das seine erste größere Rolle.
In „Das Ende von Eddy“, quasi die Romanversion von „Rückkehr nach Reims“, erzählt Louis autobiografisch von einer Jugend als Schwuler in der nordfranzösischen Arbeiterklasse, von Gewalt, Homophobie und Fremdenfeindlichkeit. Siegmund und Regisseur Alek Niemiero haben aus der analytischen Betrachtungsweise Louis’eine Coming-of-Age-Inszenierung gemacht, die für ihn durchaus Identifikationspotenzial hatte: „Wir kennen beide das Gefühl, anders zu sein oder damit konfrontiert zu sein, Schwierigkeiten zu haben, in etwas reinzukommen, wo man reinkommen will“, sagt Siegmund.
Siegmund ist im mecklenburgischen Parchim aufgewachsen, einer 18.000-Einwohner-Kleinstadt in der Nähe von Schwerin. „Das Theater war da für mich ein wichtiger Ort, weil man sich dort mit anderen Themen auseinandergesetzt hat als denen, die ein Großteil der anderen Jugendlichen beschäftigt hat: Wo trinke ich wann welchen Alkohol? Wie verhalte ich mich gegenüber ausländischen Mitschülern? Die ganzen Klischeesachen, die es halt tatsächlich gibt.“
Am Theater schätze er vor allem die Ernsthaftigkeit. „Ich finde, es sitzen schon genug zynische Politiker und Unternehmer in Büros und entscheiden über Menschenleben, da muss ich mich nicht noch auf die Bühne stellen und auch zynisch sein.“
„Die Mischung aus Kraft und Sensibilität, die auch zu innerer Zerrissenheit führen kann, weiß Steffen Siegmund so einzusetzen, dass seinen Rollen ein hohes Maß an Beachtung sicher ist“, schrieb die Jury des Boy-Gobert-Preises in ihre Begründung. Und: „Seinen Figuren eigen ist ein Staunen über die Zustände auf dieser Welt.“ So wundert es nicht, dass Siegmund bei der Verleihung des Boy-Gobert-Preises Mitte Dezember Peer Gynt als die Figur wählte, die er beim Festakt präsentierte.
Aus der Begründung der Jury des Boy-Gobert-Preises
Die Laudatio auf der Matinee hielt der Schauspieler Jens Harzer, der diese Gelegenheit nutzte, um die Arbeitsüberlastung am Theater vehement anzumahnen und damit die Länge der ganzen Veranstaltung deutlich zu überziehen: „Am Anfang mag es für einen jungen Schauspieler toll sein, 35 Vorstellungen im Monat zu spielen und dafür wenig bis gar kein Geld zu verdienen“, sagte Harzer. „Aber irgendwann muss das aufhören. Sonst bleibt einem nur das böse Stadttheatergesicht.“ Er forderte weniger Produktionen, mehr Zeit für Proben und weniger Druck.
Teilt Siegmund Harzers Kritik? Er ist gespalten. „Wenn man weiß, dass dieses ganze viele Arbeiten zum Beispiel in den Kinderstücken, wo man 35 Vorstellungen im Dezember hat und elf in der ersten Januarhälfte, dazu führt, dass man danach in einer Produktion arbeitet, wo man inhaltlich ordentlich was wegzutragen hat als Spieler, dann hält man das viel leichter aus. Wenn es aber zu nichts führt, dann ist und bleibt es eine Belastung.“ Insofern stimme er Harzer zu. „Die Überbelastung ist auf jeden Fall da.“
Was müsste sich am Theatersystem ändern? „Das Wichtigste ist, und das merkt man überall, das ist der wirtschaftliche Druck. Der muss verschwinden oder massiv weniger werden. Man hat zum Beispiel 60 Produktionen im Repertoire und die behält man, weil man dieses Abosystem hat. Ich verstehe, dass das wichtig ist, weil es einem Haus finanzielle Sicherheit gibt. Aber mir kann niemand erzählen, dass man alle drei Monate ohne intensive Nachproben ein Stück spielen kann, ohne dass die Qualität verwässert.“ Auch die Angst vor schlechten Auslastungszahlen, die sich schon vor der Premiere bemerkbar mache, präge die Arbeit viel zu stark.
„Ich weiß nicht, ob es der richtige Weg ist, mit der Angst ranzugehen: Es darf bloß nicht floppen. Überhaupt finde ich es schwierig, einen Flop über Auslastungszahlen zu definieren.“ Vielleicht wäre es ein Weg, weniger zu produzieren und die Flops länger laufen zu lassen, schlägt er vor. „Die Leute, die wirklich gern ins Theater gehen, die sehen sich auch das gerne an. Das muss Kunst sich doch erlauben dürfen.“ Ansonsten drohe das, was Theater kann, verloren zu gehen: eine andere Art zu denken. „Man kann im Theater dieser spröden, zynischen Realität einen verwandelten Raum entgegenstellen, eine Gegenwelt, von der man sich gefangen nehmen lassen lässt, sodass man Raum und Zeit kurz total vergisst.“
Steffen Siegmund ist derzeit in „Das Ende von Eddy“ zu sehen (Thalia in der Gaußstraße, 4./5./16. 2.), im Großen Haus unter anderem in „Tartuffe“ (8./21. 2.)
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