Die große Inklusions-Mogelpackung

INKLUSION Im September wurden aus persönlichen AssistenInnen für gehandicapte SchülerInnen sogenannte „SchulassistenInnen“ – und plötzlich weiß niemand mehr, wer für wen zuständig ist

Für einen persönlichen Assistenten müssen die Eltern vors Sozialgericht

Rund 500 MitarbeiterInnen an Bremer Schulen sind nicht beim Land, sondern bei externen Arbeitgebern beschäftigt. Bis vor Kurzem waren sie noch persönliche AssistentInnen für SchülerInnen mit Behinderungen, doch dann hat die Bildungssenatorin verfügt, dass sie nicht mehr nur für Kinder mit nachgewiesenem Hilfebedarf, sondern schulweit eingesetzt werden dürfen – aus „persönlichen Assistenten“ wurden „Schulassistenten“. Die Folgen dieses Wechsels sind gravierend.

„Unser Personal ist zu Feuerwehrkräften geworden“, sagt Thomas Bretschneider, pädagogischer Leiter des Bremer Martinsclub. Mit knapp 400 MitarbeiterInnen stellt der Beschäftigungsträger die meisten AssistentInnen, die Bretschneider „nicht unterrichtendes Personal“ nennt. Wofür es eingesetzt wird, bestimmen neuerdings die „Zentren für unterstützende Pädagogik“ (ZuP). „Diese sogenannten Zentren“, sagt Bretschneider, „bestehen in der Regel aus einer Lehrkraft, die für ihre Aufgabe ein paar Stunden freigestellt ist.“

Die setzen die SchulassistentInnen nicht nur für SchülerInnen mit Behinderungen ein, sondern auch für Kinder mit Verhaltensauffälligkeiten wie ADHS: „Es ist seit zwei Jahren klar, dass der Bedarf an Hilfskräften mit dem Ausbau von Ganztagsschulen steigen wird“, sagt Bretschneider. Aber nichts sei geschehen – bis September: „Da hat die Bildungssenatorin den Eckwert für die persönlichen Assistenzen gekündigt und der Sozialbehörde übergeben.“

Seither fühle sich niemand mehr zuständig: Konnten Eltern früher beim Amt für soziale Dienste einen Antrag auf einen persönlichen Assistenten stellen, wenn ihr behindertes Kind normal beschult werden sollte, aber ohne Hilfe zum Beispiel keine Toilettengänge schaffte, müssen heute die ZuP Hilfeleistung durch die SchulassistentInnen gewährleisten. „In der Folge heißt das oft, dass ein Kind, das früher 40 Stunden in der Woche Hilfe bekam, sie jetzt nur noch 20 Stunden erhält“, sagt Bretschneider. Ihm sei ein Fall bekannt, wo das Abitur von zwei 16-Jährigen akut gefährdet sei, weil sie mangels einer Assistenz ab mittags nicht mehr zur Schule gehen könnten.

„Betroffene Eltern hätten zwar nach wie vor die Möglichkeit, einen Assistenten zu beantragen, aber die Sozialbehörde sagt jetzt: Dafür ist das Bildungsressort zuständig, denn von ihm werden schließlich die Schulassistenten gestellt.“ Die Eltern müssten dann nachweisen, dass der Schulassistent nicht ausreiche – und zwar vorm Sozialgericht: „Die Chance, hier zu gewinnen, ist extrem hoch, aber trotzdem dauert ein Prozess lange und es gibt es jedesmal eine Einzelfallentscheidung.“

Die veränderten Zuständigkeiten sind ebenso wenig geklärt wie der neue Status der externen ArbeitgeberInnen: Bisher lag die Dienst- und Fachaufsicht über ihre Angestellten bei ihnen: „Das hat sich durch die Begriffsveränderung verschoben – allerdings wissen wir auch noch nicht, wer sie nun hat“, sagt Bretschneider. Auch das muss rasch geklärt werden, denn sonst würde es sich bei den SchulassistentInnen um Leiharbeiter handeln, und zwar um illegale, denn zumindest der Martinsclub besitzt keine Entsendeerlaubnis, die für das Ausleihen von Angestellten erforderlich ist: „Bislang brauchten wir die auch nicht“, sagt Bretschneider. Ob das jetzt nötig ist, werde noch geprüft. SCHN