Zementstaub im Paradies

AUSSTELLUNG Der Künstler Hans Op de Beeck setzt seine Lust am Abgründigen in ästhetisch opulente Skulpturen, Videos und Aquarelle um. Zu sehen sind seine Arbeiten derzeit im Kunstverein Hannover

Thermoskannen werden zu Hochhäusern, Wattebäusche werden zu Wolkenformationen

Niedersachsen ist das einzige Bundesland, das seine Kunstvereine institutionell fördert. Dem niedersächsischen Ministerium für Kultur stehen dafür jährlich eine Million Euro zur Verfügung, die es an 25 bis 30 Kunstvereine verteilt. Das ist jeweils zwar nicht gerade viel, gleichwohl einzigartig in Deutschland. Voraussetzung für eine Förderung sind eine professionelle Struktur des Kunstvereins, die internationale Ausrichtung sowie ein Vermittlungsprogramm zu den Ausstellungen.

Diese Bedingungen vermag der Kunstverein Hannover natürlich alle zu erfüllen. Derzeit zeigt er die erste deutsche Einzelausstellung der Skulptur-Environments des Belgiers Hans Op de Beeck, sowie seiner Videos und großformatigen Aquarelle. Ganz unbekannt ist Op de Beeck in Hannover nicht, er war bereits 2005/06 in einer Gruppenausstellung vertreten. Damals standen ästhetische Opulenz und die Lust am Abgründigen im Fokus.

Dieser Grundhaltung ist Op de Beeck treu geblieben. Der 1969 in Belgien geborene und in Brüssel lebende Künstler geizt mit biografischen Daten, erzählt nur, dass er während des Malerei-Studiums, gelangweilt von der flachen Textur, zum dreidimensionalen Objekt fand.

Seine erste Produktion „Location (1)“ datiert von 1998 zeigt in bestem Faller-Modellbau-Naturalismus eine nächtliche Straßenkreuzung. Die Landschaft ist gefroren, die Kreuzung menschenleer, nur die Ampelanlage arbeitet zuverlässig, steuert stoisch auch noch das absurde Nichts.

Dem stellt Op de Beeck seine betretbare „Location (7)“ zur Seite. Über eine schmale Treppe betritt man ein erhöht gelegenes winziges Zimmer, ein billiges Studio, in dem eine Einzelperson sehr bescheiden zu leben scheint. Dem Sofa gegenüber öffnet sich das Panorama auf den tiefer gelegen Garten. Reste eines Sommerfestes und ein monumentaler Springbrunnen sind von einer kruden Mauer aus Betonfertigteilen umschlossen.

Mit dieser Art lächerlicher flämischer Gärten sei er aufgewachsen, so Op de Beeck, er respektiert sie aber als Versuche, das kleine eigene Paradies zu inszenieren. Über Interieur und Garten liegt ein grauer Schleier wie Zementstaub, die Referenz an Pompeji: ein konservierender Zeitschnitt somit durch die mentale Konstitution einer Gesellschaft, verstärkend untermalt von elegischen Klavierpassagen.

Ein Gestus des Getragenen und Monumentalen bestimmt das Werk Op de Beecks, das er mittlerweile mit fünf Assistenten umsetzt. Die spontane Faszination verliert sich aber beim Rundgang in Hannover mit der Masse des hier Gezeigten. Im letzten Raum läuft Hans Op de Beecks aufwendiges, halbstündiges Video „Sea of Tranquility“ aus dem Jahr 2010, das die Welt auf einem fiktiven Riesenkreuzfahrtschiff imaginiert. Filmaufnahmen und 3-D-Animationen konstruieren in perfekten Bildern ein hermetisches Luxusleben zwischen Restaurants, permanentem Shopping und bordeigener Schönheitschirurgie – der Film verbleibt jedoch zu affirmativ, um bis zum Ende zu fesseln.

Man geht stattdessen lieber noch einmal ein paar Räume zurück zu den Low-Budget-Videos von Hans Op de Beeck. Mit spielerischer Leichtigkeit lässt er beispielsweise in „Staging Silence“ vor frontal starrer Kamera einige flinke Hände immer wieder neue Mini-Kulissen aufbauen. Silberne Thermoskannen werden zu Hochhäusern, Wattebäusche an horizontalen Schnüren zu Wolkenformationen, Pappfassaden kommen ins Bild geschoben und dienen wahlweise als Innen- und Außenszenerien, alles in abstrahierendem Schwarz-Weiß.

Das erinnert an Fellinis Filmausstattungen, ist geistreich vorgeführte Fiktionsbrechung des Mediums mit minimalem finanziellem und optimalem konzeptionellem Einsatz. BETTINA MARIA BROSOWSKY

bis zum 11. November im Kunstverein Hannover