Auch Merkel fährt auf Sicht

STEUERN Im Streit mit der FDP stützt die Kanzlerin den Kurs ihres Finanzministers. Schäuble sieht sich durch die neue Steuerschätzung in seiner Absage an eine große Reform bestätigt

Die besseren Konjunkturdaten wirken sich kaum auf die Steuereinnahmen aus

AUS BERLIN RALPH BOLLMANN

Nein, es ist nicht nur der Finanzminister. Am Montag ließ auch Kanzlerin Angela Merkel selbst erklären, dass über die von FDP und CSU gewünschten Steuersenkungen das letzte Wort noch nicht gesprochen ist. „Es macht überhaupt keinen Sinn, einen Vorgriff leisten zu wollen auf die wirtschaftliche Entwicklung des Jahres 2010“, sagte Regierungssprecher Ulrich Wilhelm in Berlin. Darüber hinaus wies Wilhelm darauf hin, dass die Regierungschefs der Europäischen Union im Jahr 2011 mit der Konsolidierung der krisengebeutelten Staatshaushalte beginnen wollten.

Auf Drängen der FDP hatten sich die schwarz-gelben Regierungsparteien in ihrer Koalitionsvereinbarung darauf verständigt, „möglichst“ zum 1. Januar 2011 eine große Steuerreform in Kraft zu setzen. Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) ließ von Anfang an erkennen, dass er eine solche Möglichkeit nicht sieht. In einem am Montag erschienenen Zeitungsinterview schloss er ein grundlegend neues Einkommensteuersystem sogar für die gesamte Legislaturperiode aus.

Bestärkt wird Schäuble durch die neueste Voraussage des Arbeitskreises Steuerschätzung, der an diesem Dienstag in Berlin zusammentritt und seine Ergebnisse am Donnerstag offiziell verkünden will. Nach einem Bericht des Handelsblatts rechnet das Finanzministerium damit, dass die Steuereinnahmen von Bund, Ländern und Gemeinden von rund 562 Milliarden Euro im Jahr 2008 krisenbedingt auf nur noch 523 Milliarden Euro im Jahr 2009 sinken. Im kommenden Jahr sollen es nur noch 512 Milliarden sein. Demnach wirken sich die zuletzt verbesserten Konjunkturdaten nur geringfügig auf die prognostizierten Steuereinnahmen aus.

Politisch gilt eine große Steuerreform nur dann als durchsetzbar, wenn hinterher keine relevante Bevölkerungsgruppe mehr bezahlt als zuvor. Werden Ausnahmen und Subventionen abgeschafft, müssen sie also durch niedrigere allgemeine Sätze kompensiert werden. An diesen Zusammenhang erinnerte Schäuble in dem Interview. Jeder Eingeweihte wisse, „dass man Steuerreformen nur machen kann, wenn man hinreichend große Entlastungsspielräume hat“. Das aber ist nach Schäubles Ansicht offenbar nicht der Fall.

FDP-Politiker aus der zweiten Reihe reagierten am Montag verschnupft auf die Einlassungen des größeren Koalitionspartners. „Verträge sind einzuhalten“, mahnte Finanzexperte Carl-Ludwig Thiele. Allerdings meldeten zuletzt auch mehrere einflussreiche FDP-Landespolitiker Zweifel an der Finanzierbarkeit der Steuerpläne an. So warnten der hessische Parteichef Jörg-Uwe Hahn und der schleswig-holsteinische Fraktionschef Wolfgang Kubicki vor „einseitigen Belastungen“ der Länderhaushalte. Der Bundesvorsitzende Guido Westerwelle war unterdessen mit Antrittsbesuchen als Außenminister beschäftigt.

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