Kristof Schreuf
Ausgehen und rumstehen
: Der Kunst tut es nicht gut, wenn sie sich zu viel Ernst auferlegt

Im Foyer des Babylon-Kinos stehen zwei MitarbeiterInnen der slowenischen Botschaft an einem Tresen, auf dem mehrere eng bedruckte Gästelisten liegen. Bis zum Gespräch zwischen dem Regisseur Volker Schlöndorff und dem Philosophen Slavoj Žižek über die Regie-Ikone Ernst Lubitsch ist an diesem Freitagabend zwar noch einige Zeit, doch sind schon sehr viele Namen auf den Zetteln durchgestrichen. Vor den Eingangstüren zum Saal warten Hunderte von Frauen und Männer, ohne zu drängeln. Die einen tragen auffällige Mäntel und lang herunterhängende Schals, als wären sie Schauspielschüler, die sich hier zwischen zwei Castings über die Arbeit von Kollegen informieren möchten. Sie sprechen so schnell, selbstbewusst und mit einem schweren Akzent Englisch, wie es auch Žižek tut.

Das mag ein Hinweis darauf sein, dass sie wie Žižek aus Slowenien kommen, wirkt aber auch, als würden sie sich selbst ein bisschen für Žižek halten. Oder für Schlöndorff, weil der ebenfalls einen lang herunterhängenden Schal trägt, bis er ihn, auf der Bühne des Saals 1 angekommen, ablegt.

Žižek braucht bis dorthin ein paar Minuten länger als sein Gesprächspartner. Das liegt daran, dass, während er vorbeigeht, alle paar Sitzreihen ein Herr hochschnellt, der sich im selben Alter wie Žižek befindet, einen ähnlich grauen Vollbart trägt und ihm noch schnell und dringend etwas mitzuteilen hat.

Der slowenische Botschafter eröffnet den Abend mit dem Hinweis, dass sein Land für „seine schöne Natur, für seine Gastfreundschaft“ und nun auch für „das erste Ernst-Lubitsch-Festival“ bekannt sei. Die ebenfalls anwesende Tochter Lubitschs sowie dessen Enkelin freuen sich anschließend über das zahlreiche Erscheinen. Danach beginnt Žižek weniger ein Gespräch, als dass er vielmehr in Worte ausbricht. Während er spricht, mag der Zuhörer nicht immer glauben, wirklich vernommen zu haben, was er gerade gehört hat.

Žižek weist zunächst da­rauf hin, wie schrecklich nützlich gewaltsame Auseinandersetzungen zwischen Staaten sein können, um die Kunst voranzutreiben. Der Peloponnesische Krieg habe Thukydides das Thema geliefert, Sir Francis Drakes Sieg über die Spanische Armada habe Shakespeare in­spiriert, und ohne den Zweiten Weltkrieg wäre Lubitschs „Sein oder Nichtsein“ nicht entstanden. Dieser Film beweise, ebenso wie Roberto Benignis Film „Das Leben ist schön“, dass die Komödie die einzige künstlerische Chance biete, sich mit dem Holocaust auseinanderzusetzen.

Žižek redet sich nicht bloß in Fahrt, er überholt sich auch gern selbst. Wie schlecht es der Kunst bekomme, wenn sie sich zu viel Ernst auferlege, zeige etwa das Gesamtwerk des von Žižek so genannten „Mussolini-Verehrers“ Frank Capra oder ein Film wie Steven Spielbergs „Schindlers Liste“. Der erlaube sich viel zu viel Pathos, um Wahrheit enthalten zu können.

Nachdem Žižek eine gefühlte Dreiviertelstunde am Stück gesprochen hat, bemerkt Schlöndorff lächelnd, dass Žižeks Gehirn für ihn zu schnell arbeite. Verstanden habe er, dass Žižek Spielberg für einen „Moralisten“ halte. Als würde er einen Satz aus einem absurden Theaterstück zitieren, erwidert Žižek darauf: „Jetzt sind wir Freunde.“

Žižek unterbricht für einen Moment den Ritt auf seiner eigenen Laber-Flash-Welle, um dem neuen Freund etwas Redezeit einzuräumen. Er fragt ihn, ob er nicht eine Komödie aus einem Text des „Humoristen“ Franz Kafka machen wolle. Obwohl er kaum geredet hat, wirkt der achtzigjährige Schlöndorff ­außer Atem, als er antwortet, dass auch Regisseure wissen müssten, wann sie aufhören sollten.