Raus aus dem Jazzkeller

JAZZ-GRENZÜBERSCHREITUNG Zum dritten Mal lädt das Festival Überjazz zum Streifzug durch die weit verzweigte Jazzwelt. Und wirft den Blick weit über deren Grenzen hinaus

Überraschendes diesseits und jenseits der Genregrenzen gibt es zu entdecken

VON ROBERT MATTHIES

Ambitioniert ist die Neuauflage der Hamburger Jazztage als „Überjazz“ von Beginn an gewesen. Die Tradition der Jazztage, die lokale Szene gemeinsam mit internationalen Jazz-Größen auf die Bühne zu bringen, soll das Festival auf Kampnagel in größerem Rahmen und mit ansehnlichem Budget fortführen – und der Stadt langfristig einen Platz auf der internationalen Jazzlandkarte sichern. Vor allem, indem es den Blick weit über gewohnte Jazz-Grenzen wirft, den Jazz aus seinem Nischendasein in einschlägigen Kellerclubs oder im ehrwürdigen akademischen Rahmen befreit – und ihm nicht zuletzt ein neues, junges Publikum erschließt. Klar war dabei von Beginn an die Arbeitsteilung der neuen Kooperationspartner: Das Jazzbüro zeichnet für die lokale Szene verantwortlich, Karsten Jahnkes Agentur lässt ihre Kontakte zu internationalen Größen spielen, Kampnagel kümmert sich um Grenzgänger und zeitgenössische Jazz-Pioniere.

Und es ist diese Vielfalt und die Offenheit, die das Festival auf Anhieb zum Erfolg hat werden lassen: Man lässt sich durch Hallen und Foyers treiben, die Dixieland-Fraktion verirrt sich für eine kurze Stippvisite zum Jazz im Death-Metal-Gewand, Jazzneulinge in Röhrenjeans entdecken altehrwürdige Legenden. Und wer eines Konzertes überdrüssig wird, schaut in der nächsten Halle vorbei. Neuentdeckungen sind dabei vorprogrammiert.

Jede Menge je nach Perspektive mehr oder weniger Überraschendes diesseits und jenseits tradierter Genregrenzen gibt es auch diesmal zu entdecken. Große internationale Namen und etliche Hamburg-Premieren findet man: Herbie Hancock gibt sich zum Abschluss am Sonntag mit einem Soloprogramm die Ehre, Silje Nergaard präsentiert ihr neues Album „Unclouded“, Schlagzeuger Manu Katché feiert mit seinem Auftritt seinen 54. Geburtstag. Zum ersten Mal in Hamburg zu hören sind der vor zwei Jahren für einen Grammy nominierte Jazzsänger Gregory Porter, der Jazz-, Soul- und Hip-Hop-Fusionierer Chris Dave ist mit seinem Projekt Chris Dave & The Drumhedz zu Gast, zum ersten Mal in der Stadt ist auch das ebenfalls im Hip-Hop-Umfeld umtriebige Chicagoer Hypnotic Brass Ensemble.

Rudresh Mahanthappa präsentiert sein Projekt Samdhi, in dem der Saxophonist – der im letzten Jahr den renommierten Kritikerpoll des Jazz-Referenz-Magazins Down Beat gewonnen hat – zum ersten Mal indische Instrumente integriert und das Feld zwischen Modern Jazz und südindischer karnatischer Musik ausmisst. Atmosphärisch-kargen „Post-Jazz“ spielt das Londoner Portico Quartet und begeistert damit seit acht Jahren Jazzpuristen ebenso wie Indierocker. Und macht ganz nebenbei ein gerade mal gute zehn Jahre altes Musikinstrument weltbekannt: das in der Schweiz entwickelte „Hang“ sieht ein wenig aus wie zwei zum Ufo zusammengebastelte Klangschalen, fordert genau dosierte Berührungen – und konzentrierte Ruhe.

Ausgetretene Pfade meidet auch das in Hamburg und Frankfurt ansässige Label Pingipung, das am Freitag im Rahmen von Überjazz seinen zehnten Geburtstag feiert. Gleich mit vier Acts aus seinem von Elektronika über Techno bis Jazz reichenden Katalog bestreiten den Abend. Zu hören ist etwa Labelbetreiber Andi Otto alias Spingintgut mit seinem „Fello“: ein Instrument, das Cello und Audiosoftware mithilfe von Bewegungssensoren am Cellobogen verbindet. Sven Kacirek wiederum entlockt seinem Schlagzeug oder Xylophon, aber auch allerlei kleinen Dingen wie Papier, Holz oder Glas mit seinen Trommelstöcken perkussive Muster, die er anschließend neu zusammensetzt.

■ Fr, 26. 10. bis So, 28. 10., Kampnagel, Informationen und das ganze Programm unter: www.ueberjazz.de