Wenn einer die Standpauke bläst

Die Bundeswehr feierte sich am Wochenende selbst: Auf dem Kirmesplatz in Bochum stationierte die Wanderausstellung „50 Jahre Bundeswehr“. Demonstranten spielten tot, Kinder kletterten in Kampfjets und RTL-Retorte Juliette sang Lieder

AUS BOCHUMBORIS R. ROSENKRANZ

„Vorsicht, Mine! Bein ab!“ So geht das schon eine ganze Weile. Immer wenn ein Passant vor eine der Minen-Attrappen stolpert, die hier überall auf dem Boden liegen, ruft der Mann mit dem Vollbart: „Vorsicht, Mine!“ Und tritt jemand drauf auf die gelben Scheiben, notiert er: „Bein ab!“ Oder auch: „Tja – Bein ab!“

So zerfetzen mit der Zeit eine ganze Menge Beine. Die Menschen, die sie verloren haben, gehen aber trotzdem weiter, manche schütteln bloß den Kopf. Dem langbärtigen Mann ist das egal. Er ist am Donnerstag zum Bochumer Kirmesplatz gekommen, um gegen Rüstung zu demonstrieren, gegen Krieg und vor allem gegen die Bundeswehr, die gerade hinter ihm beginnt, sich mit ihrer Jubiläumsausstellung selbst zu feiern. Was auf der Bühne am Kopf des staubigen Schotterplatzes zur Eröffnung der 50-Jahr-Feier runtergebetet wird, können der bärtige Mann und seine rund 50 Mitstreiter nicht hören. Soldaten versperren ihnen den Zutritt zum Gelände; dabei schauen sie so ausdruckslos, als litten sie unter einer schlimmen Nervenkrankheit, die Lächeln unmöglich macht. Die Demonstranten halten derweil Schilder hoch, tragen Gasmasken, spielen tot.

Ausstellungs-Flucht

Der Mann da vorne, Ralf Feldmann heißt er, ist aus einem „ganz alten pazifistischen Anliegen“ gekommen, wie er sagt. Dabei ist Feldmann Richter am Bochumer Amtsgericht, also Teil einer Berufsgruppe, die sich nicht unbedingt auf Demonstrationen rumtreibt. Aber Feldmann ist eben Pazifist und daraus macht er keinen Hehl: „Es stört mich, dass man sowas feiert“, sagt Feldmann und schaut auf den Platz, wo Staubschwaden über einen Kampfjet streichen. Eine Billion Euro würden jährlich weltweit für Rüstung ausgegeben, sagt er und verweist auf die ganze Armut, die mit so viel Geld bekämpft werden könnte. Dann redet er noch über Einsätze jenseits des Verteidigungsfalls und über Amerikaner, die sich ihre Schurken selbst definieren würden. Und je länger er redet, erscheint die Bundeswehr-Ausstellung im Speziellen immer mehr als ein Anlass, gegen Krieg und Aufrüstung im Allgemeinen zu protestieren.

Vier Tage bleibt die Ausstellung jeweils in einer Stadt; nach Bochum marschieren die Soldaten noch nach Magdeburg, Hildesheim und Fürth. Was das alles kostet, der Transport von schweren Geschützen, von Flugzeugen und Panzern, das Showprogramm, die Info-Zelte und Schautafeln, könne man derzeit noch nicht beziffern, sagt Leutnant zur See Lars Hoffmann. Im Gegenzug erklärt er, was die Bundeswehr mit der Ausstellung bezwecken wolle: Man wolle zeigen, was die Bundeswehr zu bieten habe, zum Beispiel Berufsausbildung und Studium. Oder, nicht zu vergessen: die Hilfe im eigenen Land, wenn mal wieder Wasser über die Ufer schwappt. Außerdem solle die Ausstellung vor allem eines leisten: „Sie soll Vorurteile abbauen.“

Einen Tag nach der Eröffnung ist aber erst mal Schülertag. In der U-Bahn kommen sie einem schon entgegen, die mit Plakaten, Fähnchen und tarnfarbenen Jute-Beuteln bewaffneten Jugendlichen, die offenbar vorzeitig Ausstellungs-Flucht begangen haben. Über den Platz laufen die Schüler mit ihren Lehrern in kleinen Trupps von Zelt zu Zelt, klettern in Kampfflieger, sahnen Geschenke ab. Finden sie das gut? Nicht alle. Da sind zum Beispiel Claudio und Sven. Claudio ist 13, trägt eine tarnfarbene Mütze und fachsimpelt mit Soldaten. Er interessiere sich für die Technik, nicht für‘s Töten, sagt Claudio später. Zu Hause habe er jede Menge Bücher und Wehrdienst wolle er auch leisten. Seine Mutter seufzt. Sven hingegen ist 15, trägt eine weite Hose, Turnschuhe, lange Haare. Mit ein paar Freunden sitzt er an einem Bistrotisch und langweilt sich. „Ich finde es schwachsinnig, dass die für so‘n Mist so viel Geld ausgeben“, sagt er. Zum Bund wolle er nicht gehen, das sei schon sicher. Nun warte er nur darauf, wieder hier weg gehen zu dürfen.

Schusswaffengebrauch!

So sind also die Jungen. Und die Mädchen? Anja und Sarah, beide 16, sitzen ein paar Tische weiter und kichern in ihre Handys. Interessieren würde sie das alles gar nicht. Zur Bundeswehr wollen sie auch nicht und Freundinnen, die das machen wollen, hätten sie auch keine. Das sagen sie alles sehr schnell und überlegt und schon haben wir das alte Bundeswehr-Problem: Frauenmangel. Vielleicht hatte man deshalb am Abend zur „Party-Time“ gebeten, die Big Band der Bundeswehr auf die Bühne drapiert und davor eine Frau gestellt, die einst in der RTL-Retorte „Deutschland sucht den Superstar“ gefertigt wurde. Ihr Name ist Juliette, für sie begeistern sich vor allem ältere Männer und quietschende Teenagerinnen. Als Juliette am Abend auf die Bühne steigt, patrouillieren schwer bewaffnete Soldaten über den Platz, als wollten sie die knapp 400 Besucher in Schach halten. Was stand noch auf den Schildern vor dem Gelände? „Militärischer Sicherheitsbereich. Unbefugtes Betreten verboten. Vorsicht, Schusswaffengebrauch!“ Das im Kopf, sieht man dann ein Konzert, von dem drei Erkenntnisse hängen bleiben: 1. Juliette kann schön Lieder nachsingen, nur Shakira nicht. 2. Es interessieren sich mehr Besucher für die zufrieden ihre Instrumente bedienenden Bundeswehr-Musiker als für Juliette. 3. Juliette wird irgendwann Möbelhäuser eröffnen.

Die Demonstranten mühten sich übrigens noch redlich, Kinder zum Pazifismus zu bekehren. Wollte einer durchflitzen auf den Platz, trat man vor ihn hin und sagte zum Beispiel: „Deutsche Minen reißen im Ausland Kindern wie Dir die Beine ab!“ Der Junge, dem das entgegen schmettert, trägt ein Trikot des VfL Bochum und sieht immer wieder verlegen zu Boden, nicht wissend, was man antwortet, wenn einer derartig in die Standpauke bläst. Dann folgt ein kurzer Moment der Stille. Bis es wieder aus dem Hintergrund tönt: „Vorsicht, Mine! Bein ab! Vorsicht, Mine!“