Sex und die Großstadt

„Zu dritt“ und mehr: SZ-Redakteurin Claudia Wessel liest im Erotic Art Museum eigene, allenfalls beinahe pornografische Prosa

„Im Krimimuster“, so ist andernorts angemerkt worden zu den Erzählungen von Claudia Wessel, beschrieben sie „erotische Abenteuer von Paaren und Singles im Großstadtmilieu“. „Fern romantisierender Vorstellungen“, so weiß wiederum ihr Verlag, schreibe die Redakteurin der Süddeutschen Zeitung von „Fallen der Liebe“ und den „dunklen Seiten der Sexualität“.

Denkbar weit entfernt sind Wessels Texte, ihre Charaktere und deren Gedanken, Gespräche und Taten auch von perlend-frivolem Amüsement etwa irgendeines „Sex and the City“-Aufgusses, angepasst an die Münchner Verhältnisse (oder jene anderer deutscher Metropolen): Kaum geht es hier um spätmodernes Beziehungsmanagement oder bloßes Bäumchen-Wechsel-Dich zwischen Redaktionsfluren und Agentur-Etagen, entschieden größer scheint ihr Interesse am Banalen der Katastrophe, am Scheitern des Zwischenmenschlichen.

Da gibt es den schüchternen Patentamtsangestellten, dem ein Tangokurs erstmals auch außerhalb seiner morgendlichen Phantasien Wirkung auf das andere Geschlecht verleiht – und auf den natürlich die nächste Enttäuschung wartet. Oder die Frau von der Gerichtspressestelle, deren Vision vom blutigen Ende einer Dreiecksgeschichte ohne weiteres das Zeug zum Bild-Aufmacher hätte. Oder jene, die sich partout nicht entscheiden mag zwischen Nächten mit ihrem aufmerksamen Freund und den schnellen Begegnungen mit einem unsteten, jüngeren Liebhaber, und deren Reue darüber kaum so lange währt wie ein vermeintlicher Schwangerschaftsbefund.

„Deftig“, „saftig“ nennt vermutlich der anständige Literaturbetrieb die Sprache Wessels – im Münchener Lokalteil der Süddeutschen übrigens nicht zuletzt für eine kaum boulevardeske Berichterstattung aus Ballsälen und Tanzböden zuständig –, und ein anders gestrickter Verlag hätte möglicherweise versucht, sie zu einer deutschen Antwort auf die Catherine Millets, Virginie Despentes und anderen Arthouse-Pornographinnen der jüngeren Literaturgeschichte aufzublasen. Immerhin kennt (und nutzt) sie Worte wie „Schwanz“ und „Arsch“, lässt Peinlichkeiten aus Lippen tropfen oder „ihre übermäßig durchbluteten Gehirnverästelungen mit seinem Saft verklebt“ zurück.

Voyeure indes werden kaum finden, was sie suchen mögen: Wenn hier die Rede ist von gespreizten Frauenbeinen und anregend mit Riemchensandalen beschuhten Fußgelenken, dann als bloße verschwiemelte Vorstellung männlicher Protagonisten. Entsprechend verfassten männlichen Lesern indes dürfte bei meistens weiblicher Erzählperpektive so manche Passage – „(...) als sich in meinem Unterleib gerade dieses Prickeln breit macht, rechts und links an den Eierstöcken, die Eileiter entlang, kreuz und quer durch meine Gebärmutter“ – wohl vor allem vor Augen rufen, was ihm alles verborgen bleiben muss an als mysteriös und bedrohlich Ausgeblendetem, wie wenig die verklärende Betrachtung ihm tatsächlich offenbart vom Objekt der Begierde. aldi

Mi, 14. 9., 20 Uhr, Erotic Art Museum (Bernhard-Nocht-Str. 69)