berliner szenen Sonntagselend

Geflügel, nur Geflügel

Klack, klack, klack, Tauben fickten auf dem metallenen Fenstersims. Das Gegurre der Tiere weckte ihn viel zu früh. Gegen diese Viecher war kein Kraut gewachsen. Seit Wochen versuchte er nun schon, sie bei jeder Gelegenheit mit wilden Gebärden zu verscheuchen, aber die Fensterbank seines Zimmers schien ihr unverrückbarer Lieblingsplatz.

Draußen fiel Regen auf die Mülltonnen des Innenhofs. Einer dieser lähmenden Rixdorfer Sonntagmittage stand bevor. Kühle Luft umgab ihn, als er wenig später mitten auf dem alten Kopfsteinpflaster der Richardstraße nach Norden spazierte. Kein Auto zwang ihn auf den Gehsteig. Kein Mensch begegnete ihm. Stille. Nur das schnell verhallende Krähen eines Raben war für einen Moment von den Dächern herab zu hören. „Alle Speisen zum halben Preis!“ versprach das italienische Restaurant Pucinella am andern Ende der Straße. Hungrig trat er ein, zu dieser Stunde der einzige Gast neben einem älteren Ehepaar. Er setzte sich an den Tisch gegenüber und begann die beiden zu beobachten, während er den Kellner anwies, ihm ein erstes Bierglas zu entlüften. „Wir wollen eure Zeit nicht stehlen“, sagte der glatzköpfige Mann mit trauriger Stimme in ein Handy, während ihn seine Frau ahnungsvoll anstarrte. „Wir wollten doch höchstens auf einen Kaffee vorbeikommen.“ Er legte auf: „Sie wollen uns nicht sehen“. – „Da kann man wohl nichts machen“, sagte die Frau. Und dann versteckten sie sich beide wieder hinter der Zeitung. Darauf erkannte er jetzt Renate Künast, die Bundesministerin für Verbraucherschutz. Unter ihrem Konterfei stand die Schlagzeile zu lesen: „Und plötzlich kam ein kopfloses Huhn angerannt“. Doch da brachte ihm der Kellner auch schon seine Gänsekeule.

JAN SÜSELBECK