american pie
: Organisiertes Ignorieren

In Orlando ist man sich sicher, dass die falschen Teams um den Titel im College Football gespielt haben

Am Montagabend hat ganz Amerika nach Atlanta geschaut. Dort wurde die Meisterschaft im College Football zwischen der Mannschaft der University of Alabama und der der University of Georgia ausgespielt. Ganz Amerika? Nein! In Orlando war man weniger interessiert an dem Endspiel. Denn dort ist man der Meinung, die Trophäe für die „National Championship“ gehört in den Vitrinenschrank der University of Central Florida (UCF). Sogar eine Siegesparade hatte man organisiert: Am Sonntag, einen Tag vor dem Endspiel, war die Mannschaft, die UCF Knights, durch Disneyland gefahren und hatte sich von ein paar tausend Fans bejubeln lassen. Und während in Atlanta das Team ermittelt wurde, das der Rest Amerikas für den Champion hält, ließen die Knights-Fans bei einem von der Universität organisierten Straßenfest in der Innenstadt von Orlando ihre Mannschaft hochleben.

Eine Provokation, die sich gegen das System richtet, nach dem der Meister im College Football ermittelt wird. Ein System, in dem althergebrachte Traditionen und finanzielle Interessen immer wieder über die sportliche Fairness siegen. Ein System, das dazu führen kann, dass mit den UCF Knights die einzige Mannschaft, die die gesamte Saison über ungeschlagen bleibt, nicht in den Meisterschafts-Playoffs antreten darf, sondern das Endspiel von zwei Teams bestritten wird, die jeweils eine Niederlage auf dem Konto haben. Ihre Niederlagen haben sich Alabama und Georgia, die beiden vermeintlich besten Mannschaften, zudem ausgerechnet gegen ein Team eingehandelt, das wiederum von den UCF Knights besiegt wurde.

Wie das sein kann? In der ersten Division des College Football sind Mannschaften von 125 Unis organisiert. Die können natürlich nicht alle gegeneinander antreten. Also gibt es elf sogenannte Conferences, meist regional aufgeteilte Ligen, die Big Ten heißen oder Atlantic Coast Conference und in denen 14 oder 12 Teams organisiert sind. Oder sie heißen Big 12 und haben zehn Mannschaften. Manche haben ein eigenes Endspiel, andere nicht. Und dann spielen alle Unis auch noch ein paar Matches gegen Colleges außerhalb ihrer Conference. Am Ende der Saison gibt es als Schmankerl noch die Bowl-Games, zu denen nach endgültig vollkommen undurchschaubaren Kriterien eingeladen wird. Ein Chaos, an dem vor allem die fünf wichtigsten und sportlich stärksten Ligen mit den traditionsreichsten Colleges und den größten Stadien,dermaßen gut verdienen, dass Änderungen nur sehr schwer durchzusetzen sind.

Auf die Idee, die Meisterschaft einfach von den Conference-Titelträgern ausspielen zu lassen, ist zwar schon mancher gekommen. Umgesetzt wird sie aber wohl nie werden. Dass es nun seit vier Jahren ein Mini-Playoff gibt, zu dem eine Auswahlkommission die vermeintlich vier besten Teams einlädt, ist immerhin ein Fortschritt, aber offensichtlich noch immer nicht die Lösung, solange Mannschaften wie die UCF Knights aus schwächeren Conferences keine wirkliche Chance haben, um den Titel mitzuspielen – was überdies zur Folge hat, dass Mitglieder der Auswahlkommission mit Morddrohungen enttäuschter Fans leben müssen.

Allerdings: Die Diskussionen darum, wer den Titel verdient hat, sind nahezu so alt wie der College Football selbst – fast anderthalb Jahrhunderte. Und genau das, so glauben einige der Verantwortlichen, trage nicht zuletzt zu dessen ungebrochen großer Popularität bei.

PS: Das Finale von Atlanta hat übrigens die University of Alabama mit 26:23 gewonnen. Es war ein dramatisches Spiel, das in der Verlängerung entschieden wurde – durch einen spektakulären Touchdown-Pass eines erst 19-jährigen, vollkommen unerfahrenen Quarterbacks, der erst zur Halbzeit eingewechselt worden war.

Thomas Winkler