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Die Liebe in den Zeiten der Digitalisierung

Ab Dienstag erforscht Alexander Giesches Performance „Superposition“ am Goetheplatz das Verhältnis von Mensch und Maschine. Antworten auf die großen Fragen verspricht er nicht, dafür allerfeinste Verunsicherungen

Der LED-Vorhang trennt Mensch und Maschine nur auf und für den ersten Blick. Foto: Alexander Giesche/Theater Bremen

Von Jan-Paul Koopmann

Die Bühne steht so mehr oder weniger, der Vorhang ist noch offen. Und auch sonst geistert die am Dienstag anstehende Premiere „Superposition“ noch ein wenig im Raum herum. Eine Woche Schließzeit hat sich das Theater nach dem Feiertagstrubel gegönnt: Eher eine Zwangspause für Regisseur Alexander Giesche und seine PerformerInnen, mitten im Endspurt der Produktion. Ob sich heute alles noch so anfühlt wie im vergangenen Jahr? Ob es noch funktioniert? Giesche weiß es nicht. Und gerade hier, wo nicht Dialoge eine Handlung transportieren, sondern Zwischentöne die Inszenierung ausmachen, geht es bei so einem Anfühlen ums Ganze.

Dass der Inhalt der Performance so schnell erzählt ist, mag dabei Teil des Problems sein: Mensch (Justus Ritter) und Maschine (Nadine Geyersbach) setzen sich miteinander ins Benehmen und erforschen im Wechselspiel ihre Identitäten und Abhängigkeitsverhältnisse. Fertig. Ein Thema, zu dem unendlich viel schon gesagt ist und das trotzdem umso mehr brennt, seit aus dem literarischen Gedankenspiel Realität geworden ist. Jahrzehntelang hat die Science-Fiction das Problem beackert, gewarnt, gemahnt, Ängste geschürt – hier und da auch Lust gemacht auf den Posthumanismus von Morgen. Und jetzt wo er da ist, naja, da versteht plötzlich keiner mehr auch nur ungefähr, was eigentlich los ist mit der Welt.

Bemerkenswert ist auch, dass Giesche sich trotz der langen Vorgeschichte des Stoffs mit Recht so seine Gedanken macht, ob das Theater eigentlich schon soweit ist. Nach wie vor bestimmen konventionelle Stücke die Spielpläne, von den in anderen Medien rauf und runter erzählten Netzthemen ist wenig zu sehen, Computerspiele, die Giesche eine der produktivsten Künste nennt, überhaupt nicht.

Auch hier am Goetheplatz ist das Neuland, auch wenn die ersten Schritte gemacht sind. Übrigens auch von Giesche, der hier während seiner Residenz vor vier Jahren die TV-Serie „Lost“ inszeniert hat: kaum eine Besprechung, die damals nicht den Übergriff des populären Formats aufs Theater zum zentralen Thema gemacht hätte. Vergangene Spielzeit war es dann Felix Rothenhäuslers „Mr. Robot“, der auch wegen seiner TV-Genese für Aufsehen gesorgt hat.

Ob und wie das funktioniert, ist für Giesche auch eine Generationenfrage. Er selber hat als Kind schon am Atari gesessen, mit elf einen Laserdrucker bekommen, als der Rest der Welt kaum wusste, dass es sowas gibt. Und trotzdem, sagt er, sei auch er geflasht vom Smartphone, von der Digitalisierung unseres gesellschaftlichen Miteinanders, das auch er nicht einfach gut finden kann – und nicht schlecht. Es ist verrückt, aber längst normal, sich die Abendbeschäftigung vom Sozialen Netz kuratieren zu lassen, oder von Algorithmen für das Durchschnittspublikum optimierte Filme zu sehen.

Seit Science-Fiction Realität geworden ist, versteht kein Mensch mehr, was eigentlich los ist mit der Welt. Dabei ist längst alles gesagt.

In den Wochen der Entwicklung haben Giesche und sein Team Material gesichtet: Science-Fiction (Philip K. Dick, versteht sich), aber auch Philosophen – und echte Maschinenmenschen, ob sie nun Siri oder Alexa heißen.

Auf der Bühne wird die Ambivalenz der schönen neuen Welt nun zwischen den DarstellerInnen verhandelt: Nadine Geyersbach sitzt in einem Zelt, während Justus Ritter als Erbauer und Lenker umher geht und am MIDI-Controller weite Teile des Bühnengeschehens tatsächlich selbst in den Händen hat. Wie viel Mensch in der Maschine steckt und wie viel Maschinelles mit dem Biomenschen verwachsen ist – darum geht es. Und um Liebe natürlich.

Dass das Objekt „Maschine“ von einer Frau gespielt wird, ist kein Zufall. Nadine Geyersbach bekommt mit pinker Haarverlängerung ja sogar noch ein Upgrade gesellschaftlich antrainierter Attribute. Und das wäre eine blöde Pointe, wenn es denn eine wäre. Ist es aber nicht, sondern nur einer der unzähligen Aspekte, in denen Allzumenschliches in den streng reglementierter digitalen Raum drängt, wo auf Facebook längst die Profile von Verstorbenen herum spuken und die Liebe auf Tinder von Maschinen organisiert wird.

Termine: Dienstag, 9. 1. (Premiere), sowie am 26. 1. und 22. 2., je 20 Uhr, Theater am Goetheplatz

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