die woche in berlin
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In der Silvesternacht gibt es Angriffe auf Feuerwehrleute, die studentischen Hilfskräfte dringen auf bessere Bezahlung, der Justizsenator steht nach den Entweichungen aus der Haftanstalt Plötzensee weiter unter Druck, und die Debatte ums Schwarzfahren nimmt wieder Fahrt auf

Showdown mit Böllern

An Silvester Angriffeauf die Feuerwehr

Eigentlich war dieses Silvester in Berlin ein eher durchschnittlicher Jahreswechsel: keine runde Jahreszahl, warmes Wetter, nicht mehr Einsätze von Polizei und Feuerwehr als sonst auch in dieser Nacht. Trotzdem wird seit Montag über Gewalt diskutiert. „Das, was wir in dieser Nacht erlebt haben, war eine sehr hohe Aggressivität“, zog Landesbranddirektor Wilfried Gräfling eine negative Bilanz. Die Feuerwehr nannte die Zahl von 8 Angriffen auf Einsatzkräfte und 57 Angriffe auf Einsatzfahrzeuge mit erheblichen Sachschäden.

Nun ist schwer einzuschätzen, was im Einzelfall konkret unter einem Angriff zu verstehen ist oder vielmehr: verstanden wurde. Der Gipfel der Attacken war laut Gräfling die Bedrohung von Rettungssanitätern mit einer Schusswaffe durch einen Mann in Mitte. Laut Feuerwehr stand er unter Drogeneinfluss. Polizisten stellten später die scharfe Waffe sicher. Bei einem anderen Vorfall wurde ein Feuerwehrmann aus einer Gruppe heraus von einem Mann mit der Faust ins Gesicht geschlagen.

Das sind verabscheuungswürdige Taten. Aber reichen sie aus als Beleg für Gräflings Forderung an Politik und Gerichte, härter durchzugreifen?

Dass Betrunkene und/oder unter Drogen Stehende aggressiv werden, gerade wenn sie in Gruppen unterwegs sind, ist ein bekanntes Phänomen. An Silvester gesellt sich der Umstand dazu, dass Menschen problemlos an Unmengen von legalen Waffen, nämlich Böllern und anderem Feuerwerk, kommen. Und mit wenig mehr Aufwand auch an wegen ihrer starken Wirkung verbotene Kracher. Dass gerade Männer gerne mit Waffen spielen, ist ebenfalls nichts Neues. So ist Silvester die einzig wahre Nacht der Cowboys, die sich gut ausgestattet und als Rotte für ein paar Stunden ihr eigenes Recht schaffen – zumindest gefühlt.

Wesentlich effektiver, als härter durchzugreifen, wäre deshalb, den massenhaften Einsatz von Knallern, Raketen und Batterien einzuschränken. Schon vor Silvester wurde über ein Böllerverbot diskutiert, wie es einige Städte zumindest teilweise bereits verhängt haben. Wahrscheinlich wird es auch in Berlin in einigen Jahren so weit sein. Schließlich befinden wir uns seit Jahrzehnten in einem Prozess der Zivilisierung: Rauchen ist inzwischen uncool und in Nischen verbannt, Trinken vor 12 Uhr mittags oder im Dienst längst ein Unding. Mit Schießen wird es bald ähnlich sein. Die Zeit der Cowboys geht zu Ende. Bert Schulz

Dass gerade Männer gern mit Waffen spielen, ist nichts Neues

Bert Schulz über allzu angriffslustiges Böllern an Silvester

Ordentlich Ramba­zamba!

Streit um Tarifvertrag für studentische Hilfskräfte

Rühmliche Aus­nahme: die TU zahlt die gefor-derten 12,50 Euro

Mit den demokratischen Bürgerrechten ist es ja so eine Sache. Kaum hat man sie, verliert man schnell das Interesse, sie auch wahrzunehmen. So sieht es zumindest momentan bei den 8.000 studentischen Hilfskräften in Berlin aus. Monatelang haben sie – vertreten von den Gewerkschaften Verdi und GEW – ihren Unis mit Streik gedroht, wenn diese nicht endlich ein akzeptables Lohnangebot hinblättern – und kaum scheitern die Gespräche und sie dürften richtig Radau machen, passiert erst mal – nichts.

Zumindest ist es in Woche eins ohne geltenden Tarifvertrag – der alte wurde zum 1. Januar gekündigt – an FU, HU & Co ruhig geblieben. Dabei hätten die Beschäftigten allen Grund, 50 Jahre nach den Studentenprotesten von 68 wieder mal so richtig auf den Putz zu hauen. Seit 2001 haben die Unis den Stundenlohn ihrer Tutorinnen, Bürohilfen oder Bibliothekskräfte nicht erhöht – das sind 17 Jahre! Niemand kann ernsthaft argumentieren, dass die 10,98 Euro pro Stunde heute nur noch ansatzweise so viel Wert seien wie zur Zeit, als der Euro die gute alte Mark ablöste. Auch das letzte Angebot der Unis über 12,13 Euro ist nicht gerade großzügig.

Schließlich überweist ihnen das Land Berlin dieses und nächstes Jahr eigens für die bessere Bezahlung ihrer Hilfskräfte mehr Geld. Eine rühmliche Ausnahme bildet da die TU, die als einzige Uni ab dieser Woche die geforderten 12,50 Euro zahlt. Das Problem dabei ist aber erstens, dass das Ganze nicht tariflich vereinbart wurde – die TU es auch aus einer Laune heraus wieder rückgängig machen könnte. Und zweitens, dass andere berechtigte Forderungen – bessere Absicherung im Krankheitsfall, mehr Urlaubstage – noch nicht berücksichtigt sind.

Die 8.000 Betroffenen täten gut daran, für ihre Forderungen endlich zu streiken. Auch wenn das, wie von den Gewerkschaften angedacht, mitten in die Prüfungszeit fallen würde. Wenn sich dann noch die rund 180.000 Berliner Studentinnen und Studenten solidarisieren, könnte es richtig Ramba Zamba geben. Ralf Pauli

Ganz schön unter Druck

Ausbruch beschäftigt weiter Justizsenator

Da muss irgendwie noch mehr sein. Da muss die Hoffnung sein, die Kritik am grünen Justizsenator Dirk Behrendt könnte sich lohnen. Da muss etwas sein, das vor allem der CDU-Fraktion das Gefühl gibt, sich selbst mit Pressemitteilungen nicht nur lächerlich zu machen, in denen wie am Mittwoch vom „eigentlichen Ausbrecherkönig“ Behrendt die Rede ist und von einem „einmaligen Skandal in der Rechtsgeschichte“.

Denn der aktuelle Anlass, die Serie von Ausbrüchen aus der Haftanstalt Plötzensee, reicht für solche Zuspitzungen nicht: neun Ausbrüche binnen fünf Tagen, von denen fünf gar keine Ausbrüche waren, sondern Gefangene, die abends nicht vom Freigang in den offenen Vollzug zurückkamen. Und die verbleibenden vier tatsächlichen Ausbrecher aus dem geschlossenen Vollzug weder Mörder noch Vergewaltiger oder Totschläger. Dass die einfach abhauen konnten, ist natürlich trotzdem peinlich, auch wenn sich mit Personalmangel einiges erklären lässt.

Und doch: Nur auf dieser Basis klopft einer wie der sonst eher seriös auftretende CDU-Fraktionschef Florian Graf nicht oben zitierte Sprüche. Er und seine Parteifreunde samt FDP und AfD scheinen davon auszugehen, dass ihre Rücktrittsforderung auf fruchtbaren Boden fällt. In beschränkter Weise hat sich diese Annahme erfüllt: Ein SPD-Abgeordneter gestand zu, dass da „eigentlich“ ein Rücktritt fällig sei, die landeseigene BVG machte sich schon via Twitter über das Thema lustig.

Die Annahme der Opposition ist offenbar, dass der Grüne Behrendt sich mit seiner bisherigen Performance als Justizsenator nicht nur Freunde bei seinen Koalitionspartnern SPD und Linkspartei gemacht hat. Tatsächlich war nicht nur in der Opposition im zurückliegenden ersten Amtsjahr Behrendts zu hören, er befasse sich lieber mit Anti­diskriminierungsthemen als mit der Justiz.

Dazu könnte passen, dass Behrendt bislang kein Senatskollege übermäßig laut zur Seite springt und alle Kritik an ihm zurückweist. Ganz nüchtern äußerte sich Regierungschef Michael Müller (SPD) in einem Interview dazu: Selbstverständlich werde der Justizsenator für genaue Aufklärung sorgen, und selbstverständlich werde man sich auch im Senat mit dem Vorgang beschäftigen. Nibelungengleiche Treue sieht anders aus.

Aber die hilft ja auch nicht unbedingt beim (politischen) Überleben. Nächste Woche Mittwoch soll es den großen Showdown im Rechtsausschuss des Abgeordnetenhauses geben. Da ist weniger spannend, wie vor allem die CDU gegen Behrendt angreifen, sondern wie ihn seine rot-rot-grüne Koalition verteidigen wird. Stefan Alberti

Gebt das Fahrn frei!

Das Schwarzfahren soll nicht mehr strafbar sein

Die von manchen Medien zur Staatsaffäre aufgebauschte Flucht einiger Gefangener aus dem offenen Strafvollzug hatte auch ihr Gutes – zum Beispiel diente sie dem Vorsitzenden des Deutschen Richterbundes dazu, die Öffentlichkeit an einige längst bekannte Tatsachen zu erinnern: dass dieser offene Vollzug voll ist mit Schwarzfahrern, die nicht in der Lage oder willens sind, die gegen sie verhängte Geldstrafe zu bezahlen. Dass die Unterbringung dieser „Ersatzstrafer“ ganz schön teuer für die Allgemeinheit ist. Und dass die notorisch überlasteten Gerichte Besseres zu tun haben, als Jahr für Jahr zigtausende Schwarzfahr-Fälle zu bearbeiten.

Jens Gnisa, der Richterbund-Vorsitzende, würde denn auch lieber die sogenannte Leistungserschleichung aus dem Strafgesetzbuch streichen. Das ist im Übrigen eine alte linke Forderung, und auch der grüne Justizsenator Dirk Behrendt hat sie schon erhoben – zuletzt allerdings vor Antritt seines aktuellen Amtes. Gegner dieser Haltung argumentieren, dass das Fahren ohne Fahrschein damit zum Sonntagsspaziergang würde: Mit dem Straftatbestand entfiele nämlich das sogenannte Jedermannsrecht, mutmaßliche StraftäterInnen festzuhalten. Kontrolleure aber sind keine Polizisten – sie müssten fortan jeden laufen lassen.

Wenn Gnisa nun sagt, die Verkehrsbetriebe müssten eben für bauliche Zugangskontrollen zu ihren Anlagen sorgen, klingt das einerseits bestechend logisch. Andererseits reicht schon ein flüchtiger Blick auf den Berliner ÖPNV, um zu begreifen, dass das alles andere als einfach ist. Viele zentrale U-Bahnhöfe sind so angelegt, dass eine Nachrüstung mit Barrieren, wie man sie aus Paris oder London kennt, einen enormen Aufwand bedeuten würde oder überhaupt nicht umsetzbar wäre. Was nicht heißt, dass man eine solche Maßnahme nicht prüfen sollte.

Viel eleganter wäre dagegen die radikalste Lösung, die zusammen mit der Piratenpartei leider wieder aus der Debatte verschwunden ist: der fahrscheinlose Nahverkehr. Auch kein leichtes Unterfangen, schließlich würde das die aktuellen Zuschüsse des Landes mehr als verdoppeln. Auf der Habenseite stünden eine gesteigerte Attraktivität der städtischen Infrastruktur, ein großer Schritt in Richtung Klimaneutralität, der Wegfall umfangreicher Vertriebs- und Kontrollstrukturen, weniger Stress für die Fahrgäste. Und leere Zellen in der JVA Plötzensee. Claudius Prößer