Wie die Sterne stehen

Schöne neue Worte, ein anpackender Feminismus, Begegnungen zwischen Ost- und West-Menschen auf Augenhöhe und durchgeknallte BRD-Leugner an der Waffe. Die Kolumnen-Vorschau des taz.Leipzig Teams für das Jahr 2018

Die Sterne waren in der Silvesternacht vom Augustusplatz aus nicht zu sehen. Dem Vernehmen nach sollen sie gut stehen Foto: dpa

Teilnehmende Beobachtung
: Weniger Wut, mehr Selbstbewusstsein

Foto: privat

Um als teilnehmende Beobachterin objektiv zu bleiben, hilft es, immer mal wieder die Außenperspektive einzunehmen. Alle Jahre wieder gelingt das besonders gut an Weihnachten in Oberbayern. Am zweiten Feiertag treffen sich Großtanten, Onkels und Cousinen zum Kaffee bei den Großeltern. Im holzvertäfelten Wohnzimmer gibt es wie jedes Jahr den gleichen Apfelkuchen und wie immer kommt zuverlässig dieselbe Frage an mich: Und, wo wohnst du jetzt gerade? Als ich schon letztes Jahr mit „Leipzig“ geantwortet hatte, erntete ich fragende Blicke. Für viele in meiner Familie war es tatsächlich ein Rätsel, warum jemand freiwillig in den Osten ziehen sollte. Doch dieses Jahr war es anders.

„Na, de armen Leit“, sagt eine Tante und schaut meinen Onkel an. Er arbeitet bei Siemens. „Bei uns ist des ja wurscht, wenn Siemens Stellen abbaut, do gibt’s gnuag Oarbeit“, sagt sie. „Aber wos soin de Leit in Leipzig und Görlitz macha?“ In meiner Familie, die weitgehend unpolitisch ist, hatte ich so eine Reaktion noch nicht erlebt. Vom Süden Deutschlands aus blickt man an diesem Nachmittag gen Osten und versucht, Verständnis aufzubringen. So wie es im vergangenen Jahr nach der Bundestagswahl vor allem Medien und etliche Politiker*innen versucht hatten.

Auch wenn deren Theorien über „den unzufriedenen Ossi“ oft allzu platt waren, hat sich da wohl etwas in Bewegung gesetzt. Und so könnte 2018 das Jahr sein, in dem Westdeutsche Ostdeutschen endlich auf Augenhöhe begegnen. Es könnte das Jahr werden, in dem auch Menschen aus dem Osten weniger wütend, dafür selbstbewusster werden. Die Zeichen dafür stehen 2018 gut, zumindest wenn man Web-Astrologin Mauretania Gregor Glauben schenkt. Sie sieht für dieses Jahr zwei astrologische Sensationen auf uns zukommen: Saturn werde dafür sorgen, dass gesellschaftliche Missstände aufgedeckt werden und sich so mancher mit einem fulminanten Befreiungsschlag aus alten Abhängigkeiten befreit. Mit einer solchen stellaren Konstellation hätte sich das Universum ruhig mal etwas mehr beeilen können – und nicht nach der Wiedervereinigung noch 27 Jahre ins Land gehen lassen.

Jana Lapper

So Sach(s)en
: Glassisch säk’sch

Foto: privat

Kurz vor Silvester gab der neue Ministerpräsident Michael Kretschmer seinen Kurs für die sächsische Landespolitik vor: „Wir wollen positive Bilder von unserem Land. Genau das habe ich vor.“ Wie bitte? Waren ihm die Bilder von 2017 etwa nicht positiv genug? Kultusminister, die bereits nach acht Wochen entlassen wurden, nachdem sie innovative Ideen wie eine Verbeamtung sächsischer Lehrer forderten? Ein schnittiger Polizeipanzer, in dessen Sitze ein seltsames Logo der sächsischen Spezialkräfte eingestickt war, das in seiner Form an NS-Symbolik erinnert? Oder eine sogenannte Alternative für Deutschland, die zur Bundestagswahl in Sachsen stärkste Kraft geworden ist – und an die Kretschmer sein Direktmandat verlor?

Die sächsische Politik hat also bereits 2017 gut vorgelegt, so muss es in diesem Jahr weitergehen. Sie könnte sich ein Beispiel an Donald Trumps „America First“-Politik und dessen Umgang mit der US-amerikanischen Seuchenschutzbehörde nehmen. Diese soll kurzerhand die Worte wie „faktenbasiert“ oder „wissenschaftsbasiert“ künftig vermeiden. Um die unschönen Bilder der Pegida-Demonstrationen in Dresden ein wenig aufzuhübschen, könnte Kretschmer Begriffe wie Rechtspopulismus und Hetze auf eine schwarze Liste setzen lassen. „Erfrischend volksnahe Meinungsäußerungen von Andersdenkenden“ – klingt das nicht viel besser?

Ein weiterer wichtiger Pfeiler in der Politik der schönen Bilder muss sein, unseren schönen Dialekt beliebter zu machen. Die Leipziger Mundartdichterin Lene Voigt (1891 bis 1962) muss endlich ein Denkmal im gleichnamigen Reudnitzer Park erhalten. Wichtig wäre es in diesem Zusammenhang auch, allen kulturfremden westdeutschen Studenten verbindliche Blockseminare über die sächsische Sprache und Kultur anzubieten. Lektion eins: „Es heißt Viertel eins, nicht Viertel nach zwölf.“ Lektion zwei: „Es heißt Gonsum, nicht Konsum.“ Lektion drei: „Polylux, nicht Overhead-Projektor.“ Zuwiderhandlungen werden umgehend geahndet und mit Nachsitzen bestraft, wobei die Lektüre Lene Voigts intensiv zu studieren ist, darunter: „Ich weeß nich, mir isses so gomisch. Alle säk’schen Balladen und Glassiger.“ Denis Gießler

Balkongespräche
: Fake News aus der Vorlesung

Foto: Hanna Sander

Meine Nachbarin sagt, ihre Professorin habe sich mal verplappert. Ein Staat gründe sich immer auf einer Verfassung, habe sie damals in der Vorlesung gelehrt, und auf die Frage meiner damals jungen Nachbarin, ob denn Deutschland eine Verfassung habe, sei die Antwort gewesen: Nein, hier gebe es nur das Grundgesetz.

Ein Dialog wie ein Autounfall. Es ist zweifelhaft, dass sich das wirklich so an der Universität Leipzig abgespielt hat – wo doch der AfD-Sympathisant Thomas Rauscher dort Jura lehrt und nicht Geschichte, was meine Nachbarin tatsächlich studiert haben will. Und zwar ganze 13 Semester lang. Aber es ist auch fast schon wurscht, wie viele Fake News in ihrem Zitat aus jener Vorlesung stecken, denn ihr Fazit lautet bis heute: „Da hat mir eine Professorin bestätigt, dass die BRD nicht existiert.“

In Sachsen ist meine Nachbarin mit dieser Ansicht nicht allein: 1.300 Reichsbürger gibt es hierzulande laut Verfassungsschutzbericht, der damit seine Schätzungen von August um 81 Prozent nach oben korrigiert. Die Reichsbürger leugnen die Existenz der Bundesrepublik Deutschland. Daneben lehnen sie die Autorität von Polizeibehörden und Gerichten ab, wollen keine Steuern zahlen, GEZ sowieso nicht. Sie haben sogar einen eigenen Pass, „Deutsches Reich“ steht darauf. In Urlaub fliegen möchten sie gern wie jeder andere Deutsche, das dürfen sie mit dem Pass aber nicht. Zum Waffenkaufen hingegen braucht man nicht immer einen Pass, das wissen auch die Reichsbürger: Etwa fünf Prozent der sächsischen Mitglieder besitzen welche, schätzen die Verfassungsschützer. Mit anderen Worten: In Sachsen laufen rund 65 bewaffnete, durchgeknallte Nazis herum, denen Gerichte und Polizei ziemlich egal sind. In Bayern hat ein solcher Zeitgenosse im Jahr 2016 einen Polizisten erschossen.

Sachsen muss also fromm hoffen, dass die Reichsbürger sich mit Schüssen auf die Polizei zurückhalten: Immerhin könnte versehentlich ein nicht allzu weit entfernter Gesinnungsgenosse getroffen werden. Zum Beispiel jener, der diese wunderhübsch eindeutig bestickten Sitzbezüge mit Frakturschrift für die neuen Panzerfahrzeuge angefordert hat. Helke Ellersiek

Frauen und Gedöns
: Taten statt Worte

Foto: privat

Was wurde nicht alles geschimpft im letzten Jahr. Der Feminismus sei zur reinen Nabelschau weißer Akademiker*innen in Berlin-Kreuzberg, Hamburg-Altona oder der Leipziger Südvorstadt verkommen. In ihrem moralischen Furor erteilten sie all jenen Sprechverbot, die nicht ihrer Meinung waren. Wo es hinführe, wenn gendergerechte Sprache und der Schutz von Transsexuellen übermäßig wichtig genommen werde, zeige nicht zuletzt der Wahlerfolg von Rechtspopulisten wie Donald Trump. Der Feminismus sei so mit Identitätspolitik beschäftigt gewesen, dass er darüber die soziale Frage vergessen habe.

Was bleibt mit etwas Abstand vom Feminismus-Bashing, das im letzten Jahr in den Feuilletons betrieben wurde? Es stimmt, über den Schutz von Minderheiten sind ökonomische Unterschiede aus dem Blick geraten. Aber nur bei einem bestimmten Strang des Feminismus.

Die popkulturelle Variante, die auf Instagram in großen Lettern „We are all feminists“-T-Shirts zur Schau trägt, kreist in erster Linie um sich selbst. Empowerment zielt hier immer zuerst auf die Verbesserung der eigenen Position ab. Solidarität mit ärmeren Frauen? Ja, solange sie nicht zulasten der eigenen Privilegien geht.

Ein linker Feminismus, wie er in vielen der Frauen*gruppen, -initiativen und -vereinen Leipzigs praktiziert wird, lässt Solidarität hingegen vom Lippenbekenntnis zur praktischen Haltung werden. Praktische Solidarität! So könnte das Motto für 2018 lauten. Solidarität mit den Transmännern und -frauen, die nur an wenigen Orten in der Stadt so akzeptiert werden, wie sie sind. Und Solidarität mit den Erzieher*innen, die auch in diesem Jahr wieder für eine angemessene Bezahlung kämpfen müssen.

Und. Nicht oder. Denn einem solidarischen Feminismus ist nicht daran gelegen, eine benachteiligte Gruppe gegen die andere auszuspielen. Das Engagement im feministischen Thaiboxstudio, das Transmenschen willkommen heißt, ist nicht weniger wichtig als die Mitarbeit bei der Leipziger Kita-Initiative, die sich für bessere Arbeitsbedingungen für Erzieher*innen einsetzt.Nadja Mitzkat