Reparationen von dir

GOSPEL YEH-YEH Ian Svenonius, früher Nation of Ulysses und Make Up, präsentierte sich mit neuer Band, Chain and the Gang, und neuem Album, „In Cold Blood“, im Festsaal Kreuzberg. Der undogmatische Exzentriker rockte – trotz einiger populistischer Parolen

Kaum in Kreuzberg, besuchte Svenonius sofort das Protestcamp auf dem O-Platz

Ian Svenonius ist der souligste, heißeste linksradikale Entertainer, der jemals auf einer Bühne stand, eine Mischung aus James Brown, Lenny Bruce und Martin Luther King. Am Donnerstag präsentierte der einzigartige Groover aus Washington D.C. mit seiner Band Chain and the Gang deren neues Album „In Cool Blood“ im Festsaal Kreuzberg. Es war das Auftaktkonzert zu einer Europa-Tour. Und wer in den nächsten Wochen zufällig in Trier oder Malmö ist, sollte sich diese einmalige Show nicht entgehen lassen.

Der Sänger im knallroten Anzug tanzt, predigt, haucht und schreit einen wunderbar souligen Rock und hüpft dabei mit ekstatisch-hysterischen „Yeeeahs“ und „Uuuuws“ in die Luft und über die Bühne. Svenonius, Ex-Sänger von Nation of Ulysses, Weird War und The Make Up, hat für seine Musik sogar einen eigenen Genrenamen kreiert: „Gospel Yeh-Yeh“. Was soll man dazu noch sagen? Das muss man einfach erlebt haben, denn es gibt kein Gospel ohne Gottesdienst.

Und so predigt Svenonius auch in Kreuzberg seine „liberation theology“ auf ebenso soulige Art und Weise wie seine Songs über Liebe. Seine verschwörerischen und antiimperialistischen Thesen über die „abscheulichen“ USA und das Elend der Welt nimmt das Kreuzberger Publikum allerdings mit viel Humor, kein Wunder, denn Svenonius selbst ironisiert seine Weltansichten permanent, indem er die „kulturelle Differenz“ zwischen „uns“ und „euch“ im „gebleichten Toilettenpapier“ sieht. So ernst ihm seine politischen Botschaften auch sind, am Ende gewinnt dann doch immer die Ironie. Am Schluss seines irren USA-Nazi-Deutschland-Vergleichs, heißt seine Schlussfolgerung aus der beschriebenen Misere einfach „Weißt du was? Be cool.“ Und es folgt der Song mit dem Titel „Reparation“: „I want reparations from the government / I want reparations from the school / I want reparations from the TV / I want reparations from you.“

Wer neben diesem charismatischen Performer bestehen kann, muss schon ganz schön heiß sein. Und Katie Alie Greer ist das definitiv. Die Sängerin ist einfach umwerfend und ihre „Yeeeahs“ und „Uuuuws“ fast noch heißer als die von Svenonius. Und man liegt ihr einfach zu Füßen, wenn sie ohne jedes überflüssige Wort ankündigt: „Der nächste Song heißt ‚Free will‘“ und sie dann anfängt zu singen: „I don’t believe in free will / I don’t believe in free love.“

Kaum in Berlin, besuchte Svenonius übrigens sofort das Protestcamp der Flüchtlinge auf dem Oranienplatz und postete ein Foto davon auf dem Blog der Band mit den Worten „Occupy Berlin“. Man stelle sich vor, Chain and the Gang hätten statt im Festsaal auf dem Oranienplatz gespielt! DORIS AKRAP