Das Netz der fetten Spinne

DAILY DOPE Nicht nur Lance Armstrong hat sich von Michele Ferrari beraten lassen. Der Dopingdoktor ist omnipräsent im Radsport

Es war Eddy Merckx, der große belgische Radler vergangener Jahre, der 1995 den Kontakt zu Ferrari herstellte

BERLIN taz | Michele Ferrari ist die Spinne im Dopingnetz. Der Mediziner aus Ferrara betreute Rundfahrtsieger wie Lance Armstrong und Floyd Landis, den Sprintkönig Mario Cipollini und den Exstundenweltrekordler Tony Rominger, aber auch kleine Lichter wie die deutschen Profis Andreas Kappes und Patrik Sinkewitz. In diesem Betreuungsnetz verfing sich zu Beginn seiner Straßenkarriere sogar der sich sonst so gern als supersauber präsentierende Cadel Evans (Toursieger 2011). Dutzende Athleten aus insgesamt 20 Teams zählte jüngst die Gazzetta dello Sport nach einem Studium der Ermittlungsakten der Gardia di Finanza aus Padua als Kunden Ferraris und machte ein Geschäftsvolumen von über 30 Millionen Euro aus. Die Spinne ist offensichtlich fett geworden im Dopingbusiness.

Neckischerweise ist das Gefährt, mit dem Ferrari diese Umsätze tätigt, ein simpler Camper. Der erlaubt es dem Doktor, sein Großbesteck zu jedem Trainingscamp und jedem Rennen mitzubringen. Ferraris mobiles Labor ist daher legendär. Sportler und Sportjournalisten haben es in den Schweizer Bergen gesichtet, im traditionellen Wintertrainingsareal der Radprofis auf dem Pico del Teide auf Teneriffa und auf Autobahnraststätten ganz in der Nähe der Etappenorte der großen Rundfahrten. Was darin passierte, schilderte der italienische Radprofi Leonardo Bertagnolli gegenüber Ermittlern der Guardia di Finanza so: „Ferrari sagte mir, ich solle Epo in kleinen Dosen nehmen: ‚Beginne mit 1.000 Einheiten und setze mit 500 fort‘, empfahl er. Ich blieb zehn Tage in St Moritz und nahm zehn Tage lang Epo, wie es Ferrari mir gesagt hatte und hörte zwei, drei Tage vor dem Wettkampf auf.“ Derart nah an den Wettkampf herandopen konnte Bertagnolli – immerhin ein Etappensieger bei Giro und Vuelta mit Verträgen bei Saeco, Cofidis, Liquigas und Lampre –, weil ihm Ferrari den Trick verriet, das Epo in den Bauch zu spritzen. Bei anderen Anwendungen hatte Bertagnolli fünf Tage vor Wettkampfstart mit der Spritzerei aufhören müssen, um die Epospuren unter die Nachweisgrenze zu bekommen. Natürlich kannte auch Lance Armstrong all diese Tricks. Den Kontakt zu Ferrari hatte 1995 ein ganz Großer des Radsports, Eddy Merckx persönlich, hergestellt. Das verriet Ferrari in einem seiner seltenen Interviews im Jahr 2003 dem Radsportportal cyclingnews.com. Merckx’ Sohn Axel zählte ebenfalls zu den Ferrari-Kunden, schon in den 90ern, wie der erste Ferrari-Prozess in Bologna 2004 ergab. Merckx jr. war 1995 Teamgefährte von Armstrong bei Motorola.

Als Armstrong nach seiner Krebserkrankung 1998 als entschlossener Dopingorganisator ins Peloton zurückkehrte, hieß der offizielle Teambetreuer seines US-Postal-Teams Michele Ferrari. Der Arzt aus Ferrara hält sich sogar für den Erfinder der hohen Pedalfrequenz, die neben Doping einer der Erfolgsfaktoren für Armstrong werden sollte. Ohne Ferrari kein Armstrong, könnte man behaupten. Mehr als 1 Million Euro ließ sich der Texaner Ferraris Dienste kosten.

Bei der im Schweizer Neuchatel ansässigen Gesellschaft Health & Performance SA ging das Geld ein. Laut Ermittlungen der italienischen Polizei entwarf Ferrari noch eine weitere Konstruktion. Mithilfe der in Monte Carlo ansässigen Gesellschaft T&F Sport Management soll er Gelder für Imagerechte einzelner Sportler eingesammelt, an der Steuer vorbeigeschleust und für Dopingzwecke genutzt haben. Deshalb wird gegen ihn in Padua auch wegen Beihilfe zur Steuerhinterziehung und Geldwäsche ermittelt.

„Das sind alles nur Verdächtigungen“, wehrte sich Ferrari am Dienstag in einem Interview mit dem Lokalblatt seiner Heimatstadt Ferrara – und stellte dort ausgerechnet seinen Camper als Indiz dafür heraus, dass er gar kein reicher Mann sein könne. Ganz von seiner Bedeutung erfüllt, wies er allerdings auch darauf hin, dass er im Usada-Dossier 480 Mal erwähnt wird, Armstrong aber nur 200 Mal. Diese Differenz dürfte durchaus der jeweils unterschiedlichen Bedeutung des bislang wohl konsequentesten Dopers aller Zeiten und der seines Mentors sein. Dass die ganze Dimension des Systems Ferrari noch lange nicht aufgedeckt ist, wird von einer weiteren Bemerkung des Dopinglehrers vom Dienstag gestützt: „Lance war noch nicht einmal der stärkste Athlet, den ich trainiert habe.“ TOM MUSTROPH