Berliner Strafvollzug: Filmreife Flucht
Von den vier Ausbrechern aus der Haftanstalt Plötzensee fehlt weiterhin jede Spur. Justizsenator beauftragt externe Fachleute mit Aufdeckung von Sicherheitsmängeln.
Bilder einer Überwachungskamera zeigen Szenen des Ausbruchs: Ein Mann steht vor einer weißen Hauswand. Deutlich zeichnet sich seine dunkle Silhouette ab. Mittels einer Räuberleiter hilft er einem anderen, der aus einem schmalen Loch in der Wand gekrabbelt kommt, auf den Boden. Dann kriechen sie unter einem Stacheldraht durch und – sind in Freiheit. Vier Häftlinge der JVA Plötzensee sind am Donnerstagmorgen so entkommen. Bis zum Redaktionsschluss waren sie nicht gefasst.
Ausbrüche kommen in Berlin immer mal wieder vor. Der letzte Fall, der großes Aufsehen erregt hatte, war im Mai 2014 in der JVA Moabit erfolgt. Für die Knäste zuständig war damals der CDU-Justizsenator Thomas Heilmann.
Was den aktuellen Fall spektakulär macht, ist der Umstand, dass die Kameras den Ausbruch um 8.49 Uhr filmten, dem Wachpersonal aber erst um 9.30 Uhr auffiel, dass Häftlinge fehlten. In der Zentrale der Haftanstalt Plötzensee stehen 30 Monitore, auf die die Bilder der insgesamt 60 Kameras zugeschaltet werden. Eigentlich sollten davor immer Beamte sitzen. Ob dem so war, wird nun geprüft.
Die Geflüchteten – zwischen 25 und 38 Jahre alt – waren erst 2017 nach Plötzensee gekommen. Verurteilt wurden sie wegen Diebstahls oder auch wegen räuberischer Erpressung und schwerer Körperverletzung. Zwei wären im September 2018 entlassen worden, einer hat noch ein offenes Verfahren, bei einem 27-Jährigen ist 2020 als Strafende notiert.
Das Land Berlin baut laut Justizsenator Dirk Behrendt (Grüne) die religiöse Betreuung für Gefangene muslimischen Glaubens weiter aus. Ab dem ersten Quartal 2018 sollen sogenannte Imam-Sprechstunden von entsprechend geschulten Personen in den Haftanstalten angeboten werden. Nach Schätzungen sind etwa 20 Prozent der rund 4.100 Gefangenen in Berlin Muslime. (epd)
Auf einer am Donnerstag einberufenen Pressekonferenz verwies Justizsenator Dirk Behrendt (Grüne) darauf, dass die JVA Plötzensee einen mittleren Sicherheitsstandard habe. Anders als Tegel und Moabit gehört die JVA Plötztensee zu den neueren Knästen. 323 Männer sitzen dort zurzeit ein, verbüßt werden alle Längen von Haftstrafen. Ein Drittel sitzt wegen Ersatzfreiheitsstrafen – Schwarzfahren und dergleichen – ein. Selbstkritisch merkte Behrendt an: „Wir haben unsere Aufgabe, die Gefangenen sicher unterzubringen, nicht erfüllen können.“ Zurzeit erfolge eine Schwachstellenanalyse, sagte Justizsprecher Michael Reis am Freitag. Bewusst habe man externe Fachleute beauftragt, die Fehler herauszufinden.
Am Morgen des Ausbruchs arbeiteten die vier Männer gemeinsam mit einem Dutzend weiterer Gefangener in einer Autowerkstatt, die auf dem Gefängnisgelände liegt und an einen Heizungsraum grenzt. Der ist mit einem Sicherheitsschloss gesichert. Wie die vier dennoch in den Raum gelangen konnten, ist Teil der Untersuchung. Möglicherweise hatten sie einen Schlüssel oder einen Helfer. Mit einem Hammer und einer Flex legten sie den Weg zu dem mit Armierungseisen und Beton gesicherten Lüftungsschacht frei und krochen dann durch einen 60 Zentimeter großen Schlitz ins Freie. Ein Ausbruch an sich ist nicht strafbar, allerdings können die vier wegen Sachbeschädigungen zur Rechenschaft gezogen werden.
Die CDU forderte Behrendts Rücktritt. Früher sei es üblich gewesen, dass Justizsenatoren ihr Amt bei solchen Ereignissen zur Verfügung gestellt hätten, erklärten die CDU-Abgeordneten Sven Rissmann und Burkard Dregger. Stimmt nicht, wie der Fall Heilmann gezeigt hat.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!