die woche in berlin
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In der Haftanstalt Plötzensee vermisst man vier Ausbrecher, an Heiligabend knallt ein Mann mit Auto in die SPD-Zentrale, mit den Konzerten in Erinnerung an den Motörhead-Sänger Lemmy etablieren sich neue Rituale, und pünktlich zum Jahresende wird der Ruf nach einem Böllerverbot laut

Der Populismus der CDU

Ausbrecher als Anlass für Rücktrittsforderung

Eigentlich ist die klammheimliche Freude ein Allein­stellungsmerkmal der Linken. Nach dem spektakulären Ausbruch von vier Gefangenen aus der JVA Plötzensee am Donnerstag hätte man erwarten können, dass in den Kreuzberger Kneipen anerkennend und augenzwinkernd genickt wird. So wie beim Diebstahl der zwei Zentner schweren Goldmünze oder beim Tunnelraub in Steglitz.

Doch das politische Zentrum der klammheimlichen Freude liegt diesmal nicht in Kreuzberg, sondern im Berliner Abgeordnetenhaus. In einer gemeinsamen Erklärung rieben sich der rechtspolitische und der innenpolitische Sprecher der CDU-Fraktion, Sven Rissmann und Burkard Dregger, freudig die Hände. „In früheren Zeiten haben Justizsenatoren bei solchen Ereignissen ihr Amt zur Verfügung gestellt“, heiß es da. „Von Dirk Behrendt ist ein solcher Schritt zwar zu erhoffen, aber nicht zu erwarten.“

Nun fragt man sich natürlich, welche „früheren Zeiten“ die beiden Christdemokraten meinen. Der letzte Knastausbruch fand 2014 in Moabit statt, und er war sogar noch etwas spektakulärer als der in Plötzensee. Der Justizsenator hieß damals Thomas Heilmann und gehörte der CDU an. Zurückgetreten ist er nicht.

Aber vielleicht sind Fakten auch nicht das, worum es der CDU geht. Ähnliches war zuvor schon bei der Hundertachtziggradwende der Partei bei der Offenhaltung des Flughafens Tegel zu beobachten. Der kurzfristige Showeffekt, das Spielen mit Emotionen ist der CDU wichtiger geworden als das Abwägen von Fakten und die Suche nach politischen Lösungen. Und wenn der Rücktrittsforderung an Behrendt der nicht erfolgte Rücktritt von Heilmann widerspricht, dann wird die Causa Heilmann in der gemeinsamen Presseerklärung einfach nicht erwähnt.

Eine Petitesse? Das übliche Oppositionsding? Kann sein. Aber eben auch eine Tendenz. So wie bis in die Neunziger hinein Grüne und Linke mit parlamentarischem Stand und außerparlamentarischem Spielbein agiert haben, machen es nun CDU, FDP und AfD. Der Volksentscheid Tegel war erst der Anfang dieses populistischen Oppositionsbündnisses.

Die durchsichtige Rücktrittsforderung an Behrendt ist ein Hinweis, dass auch in Berlin das politische Augenmaß verlorenzugehen droht. Und dafür gibt es gar keinen Grund zu klammheimlicher Freude. Uwe Rada

das war’s

Heiligabend mit Knalleffekt

Mann rast mit Auto ins Willy-Brandt-Haus

Ein Mann, der im Sommer vor zweieinhalb Jahren als syrischer Flüchtling nach Deutschland kam, fährt am Heiligabend vor die CDU-Bundeszentrale und stellt eine Tasche mit brennbaren Materialien ab. Danach geht’s im Auto weiter zum Willy-Brandt-Haus der SPD. Mit dem Fahrzeug, in dem sich Gaskartuschen und drei Benzinkanister befinden, durchbricht er die Eingangsfront. Als das Auto zum Stehen kommt, fängt es Feuer. Nur die Sprinkleranlage des Hauses verhindert Schlimmeres. Der Mann wird festgenommen.

Am nächsten Tag titeln die Zeitungen einhellig: Ein Terroranschlag! Ein Attentat auf unsere Demokratie! Eine Attacke auf das christliche Weihnachtsfest. Politiker von Grünen bis Union fordern schärfere Gesetze, die AfD und der Mob schäumen sowieso. Und alle sind sich einig: Dieser Anschlag war, vielleicht religiös, ganz sicher aber politisch motiviert. Getrieben vom Hass auf die Parteien und den liberalen Rechtsstaat.

Schnitt. Gleicher Vorfall, deutscher Täter – und eben tatsächlich geschehen. Eine „Raserfahrt“ ins SPD-Haus. „Möglicherweise gibt es ein persönliches politisches Motiv.“ Der Ton der Berichterstattung, selbst in den Boulevardmedien, übt sich in gelangweilter Zurückhaltung.

Drei Tage danach lässt die Staatsanwaltschaft verlauten, der Mann hätte „kein konkretes politisches Motiv gehabt“, sondern soll in Selbstmordabsicht gehandelt haben. Selbstmordabsicht! Weil sich die SPD damit auskennt? Weil brennbare Materialien vor der CDU das Suizid-Karma verbessern!?

Es ist wie immer: Damit wir uns bedroht fühlen, muss der Täter schon einen nichtdeutschen Pass haben oder, am besten, Muslim sein. So sehen es die Sicherheitsbehörden, so auch die Mehrheit der Öffentlichkeit. Ganz so, als gäbe es nicht genügend Beweise, wie der vor allem in der radikalen Rechten grassierende Hass auf Demokratie und Parteien zu Terror führen kann. Wie jüngst der Messerangriff auf den Bürgermeister von Altena, Andreas Hollstein.

Soll das heißen, dass der Mann, der da in die SPD-Zen­tra­le raste, ein Rechtsextremer war? Nicht zwangsläufig. Aber möglich wäre es. Wie am Donnerstag bekannt wurde, war er wohl von der Wut auf staatliche Behörden getrieben, die aufgrund seiner Weigerung, an einer Volkszählung teilzunehmen, ein Zwangsgeld gegen ihn verhängt hatten. Die Taten waren mehr als ein Suizidversuch. Bei einer anderen Herkunft des Täters wäre das auch schon früher aufgefallen. Erik Peter

Und noch ein weiterer Gedenktag

In Konzerten erinnert man an Lemmy Kilmister

Zwischen den Jahren“ wird die Zeit zwischen Weihnachten und Neujahr genannt. Das alte Jahr ist noch da, löst sich aber langsam auf, um dann endlich dem neuen Platz zu machen. Etwas endet, das noch Unbekannte, von dem man nicht genau weiß, wie es werden wird, steht vor der Tür. Der Mensch, der sich in dieser Zeit also in einer Art Twilight Zone befindet, braucht dann etwas Halt. Etwas, an dem er sich festhalten kann. Viele Weihnachtsmärkte in Berlin haben auch deswegen weiter auf, damit man direkt nach Weihnachten nicht in ein Loch fällt, aus dem man sich am 1. Januar erst wieder mühsam herausgraben muss.

Auch die Kulturindustrie bietet einem dankenswerterweise einiges an Ritualen an, um die trüben Tage Ende des Jahres zu überleben. Neue Folgen der „Star Wars“-Saga laufen nun immer in dieser Zeit, und auch Konzertgänger können sich in Berlin auf feste Jahresendtermine einstellen. Die Liga der gewöhnlichen Gentlemen, diese Hamburger-Schule-Band mit Soul, sie trat gestern, so wie inzwischen jedes Jahr kurz vor Silvester, im Bi Nuu auf. Das hat längst Tradition, das wird hoffentlich so bleiben. Und so sicher, wie man am 1. Januar einen schrecklichen Kater hat, so sicher gibt es an diesem Tag das Neujahrskonzert in der Volksbühne, daran hat auch die Tatsache nichts geändert, dass zuletzt an der Volksbühne so gut wie gar nichts sicher war.

Relativ neu im Angebot ist nun der Lemmy-Gedenktag, der in Berlin am 28. Dezember in Erinnerung an den nun vor zwei Jahren verstorbenen Sänger von Motörhead begangen wird. Lemmy hatte sein allerletztes Konzert überhaupt in der Max-Schmeling-Halle gegeben, das muss reichen, um die besondere Beziehung zwischen ihm und Berlin zu unterstreichen. Im Kesselhaus traten zu Ehren des großen Rockers mit den eindrucksvollen Warzen an dessen Todestag diverse Tribute-Bands auf und auch im Wild at Heart wurde zur R.I.P.-Lemmy-Party gerufen. X-Wix aus Wiesbaden traten auf und Bomber aus Schweden, die nicht zufällig so heißen wie ein Motörhead-Album. Mal sehen, ob jetzt jedes Jahr am 28. Dezember in diversen Berliner Läden verstärkt Whisky-Cola im Gedenken an Lemmy ausgegeben wird.

Mit dem Trubel um David Bowie in Berlin wird eine derartige Zeremonie jedoch sicherlich nie mithalten können. Schon nächste Woche wird der 71. Geburtstag des im vergangenen Jahr gestorbenen Sängers ausführlich begangen, fast der ganze Januar wird zum Bowie-Monat. Ein Ritual mehr in Berlin, auch wenn die Zeit „zwischen den Jahren“ dann längst vorbei sein wird.

Andreas Hartmann

Unbedingt für eine bessere Welt

Zum Ende des Jahres die frommen Wünsche

Jedes Jahr zwischen Weihnachten und Silvester werden Politiker und andere Funktions- und Würdenträger gern mal grundsätzlich: Da warnt ein Wirtschaftsforscher, dass die soziale Spaltung in Deutschland immer schlimmer werde, und fordert, man müsse auch die Flüchtlinge irgendwie besser integrieren. Eine Linken-Politikerin warnt vor zunehmender Altersarmut. Ein Exregierungssprecher findet, die Bundeskanzlerin kümmere sich nicht genug um die Ostdeutschen. Und der innenpolitische Sprecher der Berliner Linksfraktion, Hakan Taş, war dieses Jahr derjenige, der pünktlich zum Verkaufsstart für Raketen und sonstige Knallkörper am Donnerstag ein Böllerverbot in der Berliner Innenstadt forderte.

Diese frommen Wünsche nach mehr Gerechtigkeit und Frieden für alle in der Berliner Silvesternacht passen natürlich zum einen gut zu der bräsigen, satten Stimmung, in der alle noch damit beschäftigt sind, das Weihnachtsfest zu verdauen: Sie bleiben so angenehm folgenlos. Man muss bloß nicken, ohne vom Sofa aufzustehen.

Denn wer weiß schon, wie das gehen soll: weniger Armut, mehr Gerechtigkeit und keine Silvesterknaller in Neukölln?

Zum anderen ist die nachrichtenarme Zeit auch eine erstklassige Möglichkeit für Publicity in eigener Sache. Allen, denen es weniger um eine Sachfrage an sich als vielmehr um Aufmerksamkeit in eigener Sache geht, sollten zwischen Weihnachten und Neujahr zusehen, dass sie irgendwo vors Mikro kommen.

Zum Beispiel Innenpolitiker Taş: Alle Jahre wieder wird die Diskussion über ein Böllerverbot geführt, alle Jahre wieder verpufft sie folgenlos – weil man diese Debatte, wenn es einem denn Ernst wäre mit einem Böllerverbot, deutlich früher im Jahr führen müsste als zwei Tage vor Silvester.

Aber vielleicht wäre das ja mal ein erster guter Vorsatz fürs neue Jahr: weniger wünschen, mehr machen. Anna Klöpper

Wer weiß denn schon, wie das gehen soll: weniger Armut und keine Silvesterknaller in Neukölln?

Anna Klöpper über fromme Wünsche zum Ende des Jahres