NATALIE TENBERG ÜBER KONVERSATIONGoldener Herbst? Von wegen. Er bringt Husten, blaue Fingernägel und Tränen. Da hilft nur ein Verbalangriff
: Der jahreszeitlich angepasste Wortschatz

Es gibt diese beneidenswert organisierten Menschen, die holen, wenn die Abende früher beginnen, das Laub fällt und die ersten Lebkuchen im Regal stehen, schwere Kisten aus dem Keller, ziehen die Unterbettkommoden hervor und öffnen vorsichtig den Vakuumverschluss. Mit großer Freude legen sie all ihre Wollpullover und warmen Hosen aufs Bett. Danach machen Sommerkleider und luftige Blusen Platz im Schrank. Die ganze Umräumaktion dauert Stunden und wird andauernd unterbrochen, weil die Wiedersehensfreude mit dieser Strickjacke und jenem Schal andächtig gefeiert wird.

Ich hingegen bin weder organisiert, noch habe ich jemals einen warmen Pulli gefunden, der gut aussieht und nicht kratzt. Mein armer Körper leidet im Winter, auch meine Seele kriegt alljährlich im November einen Knacks. Sollen doch alle sagen, dass der Jahreszeitenwechsel so reizvoll sei, ich kriege davon höchstens Husten, vor Kälte blaue Fingernägel und muss ständig weinen. Deswegen beginne ich in diesem Monat, wie jedes Jahr, mit einer ganz anderen Umräumaktion: alle Phrasen, die sich fröhlich anhören, kommen weg, alle Floskeln, die irgendwie gemein und griesgrämig klingen, hole ich aus dem Sommerquartier. Wenn ich schon unter Kälte und Dunkelheit leiden muss, sollen es alle mitbekommen. Wenn ich es ganz fies anstelle, kann ich sogar ein, zwei nahestehenden Personen mit in den Strudel ziehen, die dann die Misslichkeit meiner Lage viel besser verstehen können, als wenn sie dauernd am Fenster hängen und freudig dem ersten Schnee entgegensehen.

So sage ich im Sommer gerne „Toll, machen wir!“, wenn irgendwer vorschlägt, nach dem Spielplatzbesuch ins Restaurant zu gehen. Die Formulierung wird über den Winter eingemottet. Stattdessen schaue ich jetzt noch, wenn es hell ist, so verfroren und genervt, dass nur wenige Menschen wirklich mit mir essen gehen wollen. Fragt doch einer, antworte ich jetzt: „Lieber nächste Woche.“ Ein fantastischer Ausdruck. So universell anwendbar – und die Menschen kann man wirklich in den Wahnsinn treiben, weil auf einen kein Verlass mehr ist.

Muss man trotz der Kälte, des Regens und der miesen Laune zusagen, dann sollte man auf keinen Fall mehr „Gerne!“ sagen, sondern nur noch „Okay…“ Je nach Anlass kann man dann die Details wie Ort und Uhrzeit erfragen, möchte man das Ganze doch auf die lange Bank schieben, behauptet man einfach, noch mal mit dem Mann darüber sprechen zu wollen. Weggepackt wird außerdem das vielversprechende „Wir könnten…“ und durch „Wir müssen…“ ersetzt: Wir müssen mal wieder Jens und Britta treffen. Hört sich gleich viel negativer an.

Auch im Berufsleben lässt sich die jahreszeitliche Verstimmung kommunizieren. Am effektivsten treibt man die Kollegen mit dem eisigen Dreiklang in die Verzweiflung. Man kommentiert einfach jede fremde Meinungsäußerung nicht mit „Sehe ich genauso.“ Sondern nur so: „Ja, aber… ich weiß nicht… hm.“ Dann zieht man sich zurück. Spätestens nach drei Monaten wird man nach einer Hass-Phase stark bemitleidet.

Genau wenn einen alle ansehen und denken: „Diese Frau wartet sicher auf einen Therapieplatz!“, werden die Tage länger, die ersten Blätter sprießen an den Bäumen und die Vöglein kehren zurück. Wenn die Gutorganisierten beginnen, ihre bunten T-Shirts und Sommerkleider auszupacken, die Schals auf dem Dachboden zu verstauen, steige ich wieder auf freudige „Hallos!“ um. Bis dahin aber bleibe ich beim „Vielleicht“, „So lala“ und dem immer passenden „Ach“. NATALIE TENBERG

Hinweis: KONVERSATION Fragen zur Temperatur? kolumne@taz.de Morgen: Martin Reichert über LANDMÄNNER