Ein Visionär kommt aus der Mode

Die FDP setzt weiter auf Schwarz-Gelb, präsentiert allerdings auf dem Wahlparteitag einen eigenen Wunsch-Finanzminister: Hermann Otto Solms

AUS BERLIN ULRIKE WINKELMANN

Und jetzt für alle und zum Mitschreiben: Kirchhof, das ist der mit weniger Steuern und schönen Visionen – die FDP, das sind die mit weniger Steuern und harten Zahlen. Paul Kirchhof ist Merkels Fehler – Hermann Otto Solms ist Westerwelles Experte. Nur, falls das jemand bislang falsch verstanden haben sollte.

„Ich möchte“, rief FDP-Parteichef Guido Westerwelle gestern in Berlin, „dass Hermann Otto Solms Finanzminister wird, weil er nicht nur theoretisch etwas von Steuermodellen versteht, sondern auch praktisch weiß, wie man Steuerpolitik macht.“ Der Parteitag der FDP – mit ihm ist die Serie der Wahlparteitage vor dem kommenden Wahlsonntag abgeschlossen – sollte klarstellen: Die Liberalen sind nur für eine schwarz-gelbe Koalition zu haben, wollen keine Theorie, sondern Arbeitsplätze schaffen, und ihr Gegen-Kirchhof trägt einen dichten dunklen Schnäuzer, kann rechnen und heißt Solms.

Noch nicht verzweifelt, aber deutlich bemüht ist die FDP, dem dunklen Schatten zu entschlüpfen, den Merkels angeblicher Wunsch-Finanzminister in spe namens Kirchhof auf die Möglichkeit eines schwarz-gelben Regierungsbündnisses geworfen hat. Denn die Umfragendeuter sind sich einig: Nicht nur Merkels Auftritt beim Fernsehduell, auch Paul Kirchhof kostet die Union die Prozentpunkte, die der SPD zuwachsen. Und die FDP kommt derzeit nicht über die Sieben-Prozent-Marke. Dabei hat Westerwelle doch als Ziel ausgegeben, mehr als die 7,4 Prozent der Bundestagswahl 2002 zu holen.

Der Heidelberger Exverfassungsrichter Kirchhof mit seiner 25-Prozent-Steuer für alle wird wegen umlaufender Gerüchte über eine „Liste“ der zu streichenden Steuervergünstigungen den Vorwurf nicht los, er werde unter anderem Sportvereine, Behindertenbetreuung sowie Krankenschwestern ruinieren. Und die Liberalen, die Kirchhof zunächst als einen der Ihren begrüßten, müssen jetzt fix die Unterstellung loswerden, sie seien irgendwie auch eine unsoziale Kirchhof-Partei, weil sie ja das Ziel der Flat Tax, des einheitlichen Steuersatzes, teilen. Der FDP-Innenpolitiker Max Stadler erklärte gestern der taz: „Die FDP hat Kirchhof als Verbündeten begriffen – aber nur im Denkansatz. In der Art, wie er seine Vorschläge präsentiert hat, hat er Verwirrung gestiftet.“ Die Worte Westerwelles klang da noch etwas drastischer: „Es geht doch nicht um die akademische Selbstverwirklichung von noch so klugen Köpfen.“

Solms, Noch-Schatzmeister der FDP, erklärte: „Wir brauchen nicht nur Visionen“ – der Begriff, der Kirchhofs Steuermodell nach eigener und Merkels Zuschreibung anhängt. Sondern ein Steuerkonzept „muss durchgerechnet sein“. Im Unterschied zu Kirchhof könne die FDP „den Arbeitnehmern versprechen: Mit uns wird keiner mehr Steuern zahlen müssen.“ Von Flat Tax war gestern keine Rede mehr, sondern ausschließlich vom sogar als Gesetzentwurf vorgelegten Dreistufenmodell mit Steuersätzen von 15, 25 und 35 Prozent. Dem Focus hatte Solms zuvor erklärt, der Einheitssteuersatz entspreche nicht „dem Gerechtigkeitsempfinden der Deutschen“, sondern ein progressiver Tarif. Die Union möge doch den Wählern bitte ebenso deutlich erklären wie die FDP, dass nichts anderes zur Debatte stehe.

So schnell musste also auch Solms den Abstand zwischen Vision und Wählerwille kennen lernen. Noch Mitte August, als Merkel Kirchhof präsentierte, hatte Solms zu den ersten Gratulanten gezählt: Kirchhof gehöre zu den „brillantesten Steuerrechtlern“ in Deutschland. Nun steckt im Kirchhof-bedingten schwarz-gelben Umfragetief freilich auch Solms’ größte Chance: Wenn Kirchhof desavouiert ist und Merkel sich nach einem immer noch möglichen schwarz-gelben Sieg leider, leider von ihm verabschieden muss, könnte er tatsächlich Finanzminister werden.

Bleibt Kirchhof – er will nur in ein schwarz-gelbes Regierungsbündnis –, so wachsen die Chancen eines anderen, von Westerwelle gestern ausgerufenen FDP-Kompetenten: Der FDP-Vizevorsitzende Rainer Brüderle könnte Wirtschaftsminister werden. Nur Westerwelle selbst will sich ausdrücklich nicht festlegen. Es heißt, nur wenn Edmund Stoiber ins Kabinett will, will Westerwelle auch: vielleicht für Justiz, Kultur, Wissenschaft oder alles zusammen, ansonsten wäre er mit dem Fraktionsvorsitz zufrieden. Muss die FDP jedoch bei der Regierungsbildung draußen bleiben, bleibt die FDP gar unter 7 Prozent, ist auch sein jetziger Posten bedroht. Dann, heißt es in FDP-Vorstandskreisen, „wird es sehr heiß unter Westerwelles Stuhl“.