StilleNacht, stille Stadt

Weihnachten in Berlin: Die Straßen sind menschenleer, der Späti hat wie immer geöffnet, es gibt Parkplätze im Kiez, und sogar der Nachbar im Hausflur grüßt zum ersten Mal. Vier taz-AutorInnen erzählen, was die Stadt an den Festtagen so besonders für sie macht

Es gibt nur eine Zeit im Jahr, zu der in Berlin Ruhe herrscht. Und zwar jetzt Foto: Sebastian Wells

„Ick freu mir uff Heilichabend“

Seit vier Jahren sitze ich zu Weihnachten mit meiner angeheirateten Ostberliner Verwandtschaft unterm Tannenbaum. Der steht in unserer Wohnung in Pankow, daher kommt auch die Familie meines Mannes. Seitdem ich eine Ostbeziehung pflege, habe ich viel gelernt: Ich kann jetzt fließend die Uhr auf Ostdeutsch („Drei Viertel sechs schaff ich auf jeden Fall!“), und die Bäckereifachverkäuferin in meiner ostwestfälischen Heimat habe ich letztes Silvester mit einer „Pfannkuchen“-Bestellung verwirrt (ich wollte ein paar mit Marmelade gefüllte „Berliner“). Und ich kann jetzt Weihnachten auf Ostdeutsch.

Ich habe gelernt, dass man hierzulande Kartoffelsalat mit Würstchen verspeist und Optionen fürs Mahl am Heiligen Abend keine Option sind. Ich habe gelernt, dass der Ostberliner zu Weihnachten im Tierpark in Friedrichsfelde spazieren geht („Wir gehen nicht in den Zoo!“) und dass die schönsten Kettenkarussells in der ganzen DDR auf dem Weihnachtsmarkt am Alexanderplatz zu finden waren. Ach, ick freu mir uff Heilichabend. Oder so ähnlich. Anna Klöpper

„Auch unser Haus ist leer“

Vom Nachbarn unter uns kriegen mein Mann und ich in der Regel nur dumpfe Bässe zu hören, die irgendwie nach E-Gitarre klingen, vom Mieter über uns kommt elek­tronisches Gedudel – ein mitunter nerviger Klangteppich. Ich kontere das gelegentlich mit Musik aus dem Radio (Flux FM), die ich normalerweise in Zimmerlautstärke höre. Zimmerlautstärke ist ein Wort, dass meine Musik liebenden Mitmieter offenbar nicht kennen.

Es gibt nur eine Zeit im Jahr, zu der Ruhe herrscht. Und zwar jetzt. Wenn an den Tagen rund um die Weihnachtsfeiertage mehr als die Hälfte der Parkplätze vor dem Haus frei bleiben – das passiert in unserer Friedrichshainer Straße sonst nur in den Sommerferien –, ist auch unser Haus leer. Denn die Mehrzahl der Mitbewohner ist zu Verwandten oder sonst wohin gereist, Vorder- und Hinterhaus sind so gut wie verwaist. Die sogenannte stille Nacht ist bei uns also wörtlich zu nehmen. Wir genießen das sehr. Und auch einen schönen Nebeneffekt: Weil so viele nicht da sind und also auch nicht das WLAN nutzen, ist es leistungsstark wie nie. Der Effekt hält aber nur bis Neujahr an, dann ist wieder alles beim Alten.

Andreas Hergeth

„Feiern mit Gleichgesinnten“

Zu Weihnachten kommt die Familie zusammen, das lehren uns Hollywoodfilme und Supermarktwerbung. Vater, Mutter, Kind, am besten noch Oma und Enkelkind dazu, fröhlich vereint unter einem funkelnden Baum.

Selbst viele von den BerlinerInnen, die 362 Tage im Jahr sehr glücklich darüber sind, dass zwischen ihnen und ihren Heimatkäffern mehrere Hundert Kilometer liegen, zieht es an diesen Tagen zurück. Doch was ist mit denen, die übrig bleiben? Für die Weihnachten mit der Familie schon lange keine Option mehr ist? Zum Beispiel, weil sie keine Lust mehr haben auf die homophoben Anspielungen des Vaters, auf die „Wann bekomme ich endlich ein Enkelkind?“-Fragen der Mutter, die Nazisprüche von Opa.

Sie können froh sein, in Berlin zu wohnen, wo Clubs und Kneipen auch an den Weihnachtstagen geöffnet haben, queere Partys steigen und Gleichgesinnte sich zu alternativen Weihnachtsfeiern zusammenfinden. Ganz easy ist diese Zeit dann zwar immer noch nicht – aber einfacher als in Quedlinburg oder Gummersbach ist sie allemal. Malene Gürgen

Weihnachten im Pflegeheim, in der Not-unterkunft und am Kneipentresen 44/45

„Die Stadt döst vor sich hin“

Es gibt nur ein paar Tage im Jahr, an denen Berlin ein anderes Tempo hat. Ich genieße diese Tage um Weihnachten, wenn die Stadt verwaist wirkt, wenn sie langsamer und leerer ist. Im Lieblingscafé gibt es noch freie Plätze, es sitzen Gestalten darin, die man dort sonst nicht sieht, man versucht die Nachbartische nach Verwandtschaftsverhältnissen zu ordnen oder in Ur-, Ex- oder Halbberliner einzuteilen. Dabei liest man die wie immer langweiligen Weihnachtsausgaben der Zeitungen.

Die Grundversorgung stimmt auch. Auf einige schäbigen Eckkneipen der Gegend ist 365/24 Verlass. Ein paar Galerien findet man auch, die geöffnet haben und unaufgeregt vor sich hin dösen wie die ganze Stadt. Die oft von Türken betriebenen Spätis an der Ecke haben ebenfalls geöffnet. Und kein Andrang, nirgends. Fast schon ein bisschen unheimlich. Jens Uthoff