die woche in berlin
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Neuerdings gibt es „besonders prekäre Notunterkünfte“ für Geflüchtete, Berlin bleibt Berlin, auch nach dem Terroranschlag, Kitas müssen trotz Finanzierungsspritze einen Teil ihrer Kosten selbst erwirtschaften, und eine Narbe zeichnet die Stadt

Noch schlimmer geht immer

Unterbringung von Geflüchteten

Der Mensch gewöhnt sich an alles, heißt es ja. Sogar Zustände, die untragbar sind, werden mit der Zeit zur „Normalität“. Aktuell kann man das Phänomen an der Unterbringung von Geflüchteten studieren. Noch vor wenigen Jahren galten Notunterkünfte als das, was sie sind: Notbehelfe, die schnellstmöglich zu beenden sind. Heute sind Notunterkünfte „normal“ geworden, denn es gibt etwas noch Schlechteres: „besonders prekäre Notunterkünfte“.

Als solche bezeichnete die Sozialverwaltung diese Woche Immobilien mit riesigen Flächen wie Kauf-, Turn-, Fabrikhallen, in denen Hunderte Menschen nur durch Vorhänge oder Pressspanplatten voneinander getrennt leben. Im Vergleich dazu, finden die Bürokraten, bieten andere Notunterkünfte, die abschließbare Zimmer haben und eigene Sanitärräume, „ein ganz anderes Niveau der Unterbringung“. So kann man Zustände natürlich auch schönreden.

Der Vorteil: Dann muss man sich nicht so viel vornehmen. Dieses Jahr war das Ziel der Verwaltung schlicht, die „besonders prekären Notunterkünfte“ bis Jahresende zu schließen. Hat man „leider“ auch nicht geschafft – aber nächstes Jahr ganz bestimmt, wir schwören!

Das Problem: Die Menschen, die in den Notunterkünften leben, können sich nicht an diesen Zustand gewöhnen. Zahlreiche Studien haben in den letzten Jahrzehnten gezeigt, dass das Leben in Massenunterkünften Geflüchtete ohnehin krank macht – um wie viel schlimmer muss es für die Betroffenen sein, wenn sie in Notunterkünften oder Erstaufnahmeeinrichtungen nicht einmal kochen können. Für viele ist das in ihrem neuen Leben hier zunächst das Einzige, worüber sie autonom entscheiden können.

Doch das können Bürokraten in ihren Amtsstuben offenbar nicht nachvollziehen. Warum sonst hat das Landesamt für Flüchtlingsangelegenheiten im Frühling/Sommer Hunderte Plätze in besseren Heimen mit Kochmöglichkeit frei gehalten, während Tausende Geflüchtete in Notunterkünften („prekären“ und „normalen“) still litten?

In der Tat könnte Schlimmeres dahinterstecken als fehlende Empathie: Die Kritik des Flüchtlingsrats, das Amt halte – zumindest bestimmte – Flüchtlingsgruppen aus Gründen der Abschreckung in schlechteren Heimen fest, ist nicht abwegig. Schließlich ist die These, Geflüchteten ginge es hierzulande viel zu gut, längst kein Alleinstellungsmerkmal mehr von ganz rechts. Da kann man den Standard ruhig mal wieder absenken. Wir werden uns schon dran gewöhnen. ­Susanne ­Memarnia

Ein anderes Berlin? Nicht wirklich

Jahrestag des Anschlags vom Breitscheidplatz

Unser Berlin ist nach dem 19. Dezember 2016 ein anderes geworden.“ Parlamentspräsident Ralf Wieland hat diesen Satz am vergangenen Dienstag während der Gedenkstunde im Abgeordnetenhaus gesagt. Ähnlich wie er haben sich an diesem Tag auch andere Politiker geäußert. Aber ist das wirklich so – ist Berlin seit dem Anschlag vom Breitscheidplatz durchweg anders? Gemessen an den Reaktionen auf den Gedenktag und der Beteiligung jenseits der Politik muss man sagen: Nein.

Da ist diese Szene am Nachmittag im Bus M29 auf dem Weg nach Neukölln. Der Bus kommt vom Ku’damm, zwei Frauen unterhalten sich über die Sperrungen am Breitscheidplatz. „­Irgendeine Demo ist ja immer“, sagte die eine. Den beiden ist offensichtlich nicht bewusst, warum dort abgesperrt war. Kein Einzelfall an diesem Dienstag, so die Gesprächspartner nicht zum Medien- und Politikbetrieb gehören.

Diese Beobachtung lässt sich auch in Zahlen fassen: Am Breitscheidplatz nahmen nach Polizeiangaben am Abend gerade mal 1.000 Leute am öffentlichen Gedenken teil. 1.000 von mehr als 3.700.000 Berlinern plus Touristen. Das ist nicht viel und passt nicht recht zu dem gezeichneten Bild, dass der Anschlag weiter in aller Köpfe sei. Auch das Ausgehverhalten hat sich nicht wahrnehmbar verändert, die Weihnachtsmärkte sind weiter gut besucht. Außerhalb von Veranstaltungen mit Spitzenpolitikern steht auch nicht an jeder Ecke ein Polizist mit Maschinenpistole um den Hals.

Viel mehr hängt mutmaßlich damit zusammen, dass der Breitscheidplatz im Leben vieler Einheimischer gar nicht vorkommt, vor dem Anschlag nicht und jetzt eben auch nicht. Weil er in einer Stadt mit vielen kleinen Zentren in den zwölf Bezirken nicht die zentrale Rolle hat wie etwa die Fußgängerzone in Köln oder der Domplatz in Münster, wo viele für alltägliche Besorgungen vorbeikommen. Es gibt dadurch keine regelmäßige Begegnung mit dem Ort des Anschlags. Nach dem ersten Schreck haben vermutlich schnell neue Bilder von anderen, vielfach noch größeren Schrecknissen in der Welt jene vom Breitscheidplatz überlagert.

Es ist auch kein bewusster Prozess, es ist viel Selbstschutz und Verdrängung dabei. Wer mag sich schon gern bei jedem Marktbummel und jeder U-Bahnfahrt mit der Möglichkeit eines Anschlags befassen? Der graue Alltag, er kann auch mal weiterhelfen. Stefan Alberti

Ein unsinniges Modell

Über die Finanzierung von Kitas

Bildungssenatorin Sandra Scheeres (SPD) kann sich gerade wirklich nicht beschweren: Ständig gibt es vom Finanzsenator noch ein bisschen mehr Geld, das sie für ihr Ressort ausgeben kann – zum Beispiel für mehr Kitaplätze und für mehr ErzieherInnen, die man dann natürlich auch braucht. Und so sprach Scheeres am vergangenen Mittwoch wieder von einem „Riesenmeilenstein“, als sie gemeinsam mit Finanzsenator Matthias Kollatz-Ahnen (SPD) die neu ausgehandelte Rahmenvereinbarung zur Kitafinanzierung vorstellte: 610 Millionen Euro mehr bis 2021. Die Kitas bekommen mehr Geld für Miete (Verdrängung!), und es gibt mehr Geld fürs Personal (Tarifsteigerungen!).

Das ist alles sehr lobenswert, aber ein grundsätzlicher Missstand bleibt: Die Kitas müssen einen Teil ihrer Kosten selbst erwirtschaften, den sogenannten Trägeranteil. Der soll bis 2021 zwar um zwei Prozentpunkte abgesenkt werden – doch auch fünf Prozent Eigenanteil sind noch zu viel, sagen die Kita­träger.

Klingt kompliziert? Ja, aber ausgerechnet dieser sperrige Punkt ist eigentlich der wichtigste. Zum einen, weil diese Regelung zum Beispiel ganz unmittelbar Einfluss darauf hat, ob tarifliche Lohnsteigerungen auch tatsächlich bei den ErzieherInnen ankommen. Bei den Eigenbetrieben des Landes tun sie das – aber die meisten ErzieherInnen in Berlin sind bei freien Trägern beschäftigt, und die können das zusätzliche Geld für Personalkosten auch ganz woanders investieren (zum Beispiel in exorbitant steigende Innenstadtmieten).

Da buttert der Senat also zusätzliches Geld in die Personalkosten und subventioniert damit unter Umständen nur den Trägeranteil quer, den man den Kitas „aus Prinzip“ (Kollatz-Ahnen) nicht abnehmen will – ein widersinniges Modell.

Tatsächlich geht es hier, da hat Kollatz-Ahnen recht, ums Prinzip. Nur kann man es auch ganz anders sehen als der Finanzsenator: Kitas sind keine Wirtschaftsunternehmen. Sie haben überhaupt keine Möglichkeit, Geld zu erwirtschaften, und es ist auch nicht ihre Aufgabe. Ihre Aufgabe ist es, Kinder möglichst gut zu betreuen und zu fördern. Das geht nur leider nicht so gut, wenn sie ihren Eigenanteil immer irgendwo einsparen müssen – zum Beispiel, indem sie ihre Fachkräfte unter Tarif bezahlen. Denn so wird man bald keine mehr finden für den dringend nötigen Kitaplatzausbau. Anna Klöpper

Kein Riss, eher eine Narbe

Zur Lesart des Terrormahnmals

Zwischen wem besteht er denn, dieser „Riss“ in der Gesellschaft?

Nun ist es da: das Mahnmal, das auf dem Breitscheidplatz an die furchtbare Tat des Terroristen Anis Amri erinnern soll – und an die zwölf Menschen, die er dabei aus dem Leben riss. Als Riss wird die sich über den Boden ziehende Erinnerungslinie oft bezeichnet, ganz offiziell auch auf der Internetseite der Stadt Berlin.

Doch das Bild ist kein gutes: Zu nahe liegt die Idee von dem Riss, der durch eine Gesellschaft geht, die nun auch schon häufig in Berichten über das Mahnmal Verwendung findet. Und schnell zu der Frage führt, zwischen wem er denn besteht, dieser „Riss“ in der Gesellschaft? Welche Teile wurden hier auseinandergerissen? Etwa Muslime und solche, die es nicht sind?

Das träfe nicht die Realität. Unzählige Male haben auch Muslime gegen den Terror auf dem Breitscheidplatz und anderswo demonstriert – auf den vielen Kundgebungen der BerlinerInnen ebenso wie mit eigenen Mahnwachen. Der Terror trifft sie wie jeden anderen Bürger und jede andere Bürgerin – vielleicht mehr, denn ihre Religion, ihr Glaube wird dafür missbraucht.

Treffender ist deshalb das Bild einer Narbe, die etwas wieder verbindet, was eine Verletzung erlitten hat. Die vielleicht nie ganz verschwindet, manchmal schmerzt, aber dennoch keine dauerhafte Trennung zwischen zwei Seiten bedeutet, sondern eine Wunde, die wieder zusammenwachsen, also heilen kann. Alke Wierth

„Treffender ist das Bild einer Narbe, die etwas wieder verbindet, was eine Verletzung erlitten hat“

Alke Wierth über die Bezeichnung des Terrormahnmals am Breitscheidplatz als „Riss“