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: Im Streit um Jerusalem verschickt Trump Drohbriefe an seine Kritiker

Unter massiven Drohungen der Trump-Regierung hat die UNO-Generalversammlung in New York am Donnerstagabend nach Redaktionsschluss der taz über einen Resolutionsentwurf abgestimmt, in der die völkerrechtswidrige Entscheidung des US-Präsidenten, Jerusalem als Hauptstadt Israels anzuerkennen, verurteilt wird. Eine absolute Mehrheit für die Resolution galt als sicher. Doch wie groß sie letzten Endes ausfallen würde, war offen nach einem Drohbrief, den die BotschafterInnen fast sämtlicher 193 UNO-Staaten am Mittwochnachmittag von ihrer US-amerikanischen Amtskollegin Nikki Haley erhielten.

„Präsident Trump hat mich aufgefordert, ihm alle Länder zu melden, die gegen uns stimmen. Wir werden jede Stimme in dieser Frage notieren“, schrieb Haley. Trump drohte am Mittwochabend in einer Rede im Weißen Haus eventuellen Unterstützerstaaten der Resolution finanzielle Konsequenzen an.

Seit Gründung der UNO hat ihr mächtigstes Mitglied schon in zahlreichen Fällen versucht, andere Staaten von der Unterstützung unliebsamer Resolutionen abzuhalten oder zur Zustimmung für von Washington eingebrachte Resolutionen zu bewegen. Das geschah zumeist hinter den Kulissen mit mehr oder weniger sanftem politisch-diplomatischen Druck, mit massiven wirtschaftliche Drohungen oder mit anderen Einschüchterungsinstrumenten.

Doch eine öffentliche Drohung der USA an fast alle anderen UNO-Mitgliedsstaaten ist eine neue negative Qualität. Sie bedeutet eine weitere Eskalation der UNO-feindlichen Maßnahmen der ersten elf Amtsmonate der Trump-Regierung. Mit der nachweislich falschen Behauptung, die USA zahlten „überproportional“ viel Geld an die UNO, hat Trump bereits die Pflichtbeiträge Washingtons an die Weltorganisation drastisch verringert und weitere einschneidende Kürzungen angekündigt für UNO-Programme und Sonderorganisationen, die ihm politisch nicht passen.

Im UNO-Apparat führen die Drohungen und der finanzielle Erpressungsdruck zu Einschüchterung. Aus Angst vor weiteren Mittelkürzungen oder dem Rückzug der USA aus Sonderorganisationen der UNO vermeiden deren Funktionäre, angefangen von Generalsekretär Antonio Guterres selbst, Kritik an der US-Regierung, wenn diese, wie im Fall der Jerusalem-Entscheidung Trumps, eindeutig gegen völkerrechtlich verbindliche Resolutionen des Sicherheitsrates verstößt.

Der UNO-Hochkommissar für Menschenrechte, Seid al-Hussein, der in einer Rede im September 2016 noch vor dem damaligen Präsidentschaftswahlkämpfer Trump gewarnt und ihn namentlich als „rechtspopulistischen Demagogen“ bezeichnet hatte, vermeidet seit Trumps Amtsantritt Kritik an Washington.

Dem Autor dieser Zeilen, der in den letzten 30 Jahren als UNO-Korrespondent in Genf Hunderte Sendungen aus dem UNO-eigenen Radiostudio gemacht hat, wurde dieses Studio gestern für die Aufzeichnung einer einstündigen Gesprächssendung für das Schweizer Radio über die Auswirkungen von Trumps Politik auf die UNO und die Weltlage erstmals verweigert. Dahinter stand die Sorge der zuständigen UNO-Funktionäre vor eventuellen negativen Reaktionen der Genfer US-Botschaft. Erst nach der Zusicherung, dass das UNO-Studio bei der An- und Abmoderation der Sendung nicht erwähnt wird, durfte die Aufzeichung in dem Studio stattfinden. Andreas Zumach, Genf