Wenn die Skalpelle fliegen

KONFLIKTE IN DER KLINIK Mobbing kommt in Krankenhäusern besonders häufig vor. Der Grund sind die ausgeprägten Hierarchien. Chefs leugnen oft, dass es Konflikte gibt

Nur jeder zehnte Klinik-Beschäftigte geht zum Konfliktlotsen

VON JOACHIM GÖRES

Der neue Chefarzt schiebt den älteren Oberarzt in eine unbedeutende Abteilung ab. Die Stationsschwester sorgt dafür, dass die aufmüpfige Kollegin nach ihrer Ausbildung keine Stelle bekommt. Zwei Situationen, wie sie sich in vielen Krankenhäusern abspielen. Wegen der hierarchischen Strukturen ist die Zahl der Mobbingopfer unter Krankenhausangestellten wesentlich höher als in anderen Berufen, das ergeben aktuelle Studien.

„Es kommt vor, dass der Chefarzt im Operationssaal aus Verärgerung mit dem Skalpell um sich wirft“, sagt Diplom-Psychologe Martin Resch aus Seevetal. Von einem solchen Wutausbruch werde „dann im ganzen Haus hinter vorgehaltener Hand erzählt, ohne dass dies Konsequenzen hat“. Ein so absolut unangemessenes Verhalten gegenüber Mitarbeitern müsse aber eine Reaktion nach sich ziehen, so Resch. Er hat in einem von der Universität Hamburg durchgeführten zweieinhalbjährigen Modellprojekt in drei Krankenhäusern ein Konflikt-Management-System aufgebaut. Betriebsvereinbarungen und Schulungen von Führungskräften sollten die Sensibilität für Konflikte erhöhen. Mitarbeiter aller Berufsgruppen bildete Resch zu Konfliktberatern aus.

Der Erfolg war begrenzt: Während in dem kleinsten Krankenhaus mit rund 300 Mitarbeitern mehr als ein Drittel der Befragten hinterher von Verbesserungen beim Umgang mit Konflikten sprach, waren im größten mit rund 4.000 Beschäftigten nur 17 Prozent davon überzeugt.

Im Großklinikum war die Stimmung bei der Anfangsbefragung am schlechtesten. 17,1 Prozent stimmten dort der Aussage zu: „Hinter meinem Rücken wird schlecht über mich gesprochen.“ Jeder Achte meinte gar: „Wie ich an meinem Arbeitsplatz behandelt werde, grenzt manchmal an Psychoterror.“

Die Rechtsanwältin und Mediatorin Michaela Grosser, Dozentin an der Ostfalia-Hochschule in Salzgitter, kam zu ähnlichen Ergebnissen. Sie hatte für ihre Doktorarbeit „Konfliktlotsen in Dienstleistungsunternehmen“ die 838 Beschäftigten eines Goslarer Krankenhauses angeschrieben, 226 antworteten ihr. 63 Prozent sagten, dass es pro Woche mindestens einmal zu Konflikten in ihrem Arbeitsbereich komme. Als wichtigste Ursachen nannten sie das Verhalten von Führungskräften, ungerechte Arbeitsbelastung und zu wenig Kommunikation oder Missverständnisse. Auch „Machtspiele“ hielten über die Hälfte der Angestellten für Konfliktauslöser. Die Folgen: Nach einem Konflikt sinken bei mehr als zwei Dritteln der Antwortenden die Motivation und die Arbeitszufriedenheit. Viele klagten zudem, ihnen falle es in angespanntem Klima schwerer, sich auf die Arbeit zu konzentrieren. Bei fast 40 Prozent zeigt der Körper in solchen Fällen Reaktionen wie Unwohlsein, Kopfschmerzen oder Schlafstörungen.

Dabei gab es zurzeit der Befragung an diesem Krankenhaus bereits seit vielen Jahren sogenannte Konfliktlotsen – speziell ausgebildete Mitarbeiter, die als Vermittler bereitstehen. Deren Dienste wurden allerdings von 90 Prozent der Befragten noch nie in Anspruch genommen. Als Grund nannte die Mehrheit: „Ich löse meine Konflikte selbst“, gefolgt von: „Dabei kommt sowieso nichts heraus.“ Vor allem bei Ärzten war auch die Haltung weit verbreitet: „Ich habe keine Konflikte.“

„Auf der Leitungsebene werden Konflikte oft einfach geleugnet“, lautet die Erfahrung des Allgemeinmediziners und Mediators Heinz Pilartz, Geschäftsführer eines Instituts für Medizin und Mediation. Doch gegen den Willen der Führungskräfte könne man keine Verbesserungen beim Umgang mit Konflikten durchsetzen, glaubt er. Was bedeutet das alles für die Patienten? Pilartz sagt: „Viele Patienten sind unzufrieden.“ Da Ärzte und Pflegepersonal bald noch weniger Zeit für sie hätten, „werden wir Mediatoren künftig diese Rolle übernehmen“.