Uli Hannemann Liebling der Massen: Mein Name sei Entenbein
Diesmal haben sie sogar daran gedacht, uns zur taz-Weihnachtsfeier einzuladen: die freien Mitarbeiter, kurz „die Freien“ oder im hausinternen Jargon auch „die Schreibschweine“ genannt. Offenbar haben die Verantwortlichen resigniert.
Denn normalerweise versuchen sie, Datum, Ort und Zeit bis zuletzt vor uns geheim zu halten. Als Ablenkungsmanöver gefakte Einladungskarten sollen uns am besagten Abend in einen unwegsamen Sumpf weit außerhalb der Stadt locken.
Sie wollen eine schöne Feier ohne diese Rotte abgerissener Gestalten, die schon mittags an der Tür lauert, um abends die Ersten auf der Party zu sein. Die das noch nicht eröffnete warme Buffet stürmen, für die Ansprache der Chefredaktion nur ein heiseres „Halt’s Maul“ übrig haben, während sie sich mit ihresgleichen um die Entenkeulen balgen, belfernde Hyänen, um sie herum ein Schlachtfeld aus Beilagen auf dem Boden, den Tischen, in den Haaren, und die festangestellten Mitarbeiter haben einmal mehr das Nachsehen.
Doch für uns Hungerleider ist es der einzige Tag des Jahres, an dem wir uns (noch dazu im Warmen!) satt essen und hemmungslos besaufen können, um so das eigene Elend wenigstens für Stunden zu vergessen: dass wieder keiner angerufen hat, dass wieder ein eigener Vorschlag abgebügelt wurde, dass wieder ein Text in der Redaktion grotesk verhunzt wurde, und vor allem „das Zeilengeld“, wie die Festen höhnisch den Anstandsgroschen für die Freien nennen.
Überhaupt ist reichlich Spott im Spiel. So sollen die Freien nach dem Buffet oft auch noch Inventar und Dekoration fressen. Legendär ist die Geschichte, die sich die Redakteure im angenehm schaudernden Brustton des Wohlstandsbürgers erzählen: wie vor ein paar Jahren so ein armes Schwein (Berlinkultur) sogar den hochgiftigen Kühlschrank angeknabbert hat und daraufhin jämmerlich verendet ist.
Doch der Spott übertüncht auch den Ärger und die Angst, die die Freien jedes Mal verbreiten. Denn natürlich wird nicht nur alles vertilgt und zerstört. Es wird auch unheimlich viel gestohlen (Garderobe, Taschendiebstahl, draußen und auf den Toiletten auch Raub). Oft werden die sonst so erbärmlichen Gestalten vom Alkohol und dem ungewohnt vollen Magen übermütig. Dann schlagen sie ganz schnell zu, erst recht, wenn sie einem unliebsamen Meinungsredakteur begegnen. Auch ist es die Chefreaktion leid, dass nach jeder Weihnachtsfeier mit Freiberuflichen geschlossen alle Volontärinnen kündigen.
Keine Ahnung also, warum sie mich diesmal eingeladen haben. Noch dazu, da es ein Leichtes ist, mich zu „übersehen“. Ich arbeite für mindestens drei Ressorts. Da „weiß doch keiner“, wer für meine Einladung zuständig wäre. Doch sie wissen, dass wir Freien uns untereinander kennen und jeden Dezember konspirativ beraten: „Weißt du eigentlich, wann … hast du dieses Jahr eine Einladung … wieder nicht … typisch, Arschlöcher … ach was, ich komm trotzdem.“
Wir sind wie Wölfe. Im Sommer mürrische Einzelgänger, doch im Winter zerfleischen wir uns entweder gegenseitig oder schließen uns notgedrungen zur gemeinsamen Jagd zusammen: der Weihnachtsfeier. Und wenn auch nur einer von uns den richtigen Termin herausbekommt, dann heult es laut, „Yesss, ihr Fotzen!“, in die dunkle Berliner Winternacht, und wie durch einen geborstenen Damm strömen alle Freien auf die Feier.
Da mag man sich in diesem Jahr gedacht haben: Wenn wir wissen, was auf uns zukommt, können wir das besser kanalisieren. Außerdem ahnen sie, dass sie mir auf diese Weise ein Schnippchen schlagen.
Denn eigentlich bin ich viel zu soziophob, um überhaupt dahin zu gehen. Was soll ich denn mit Zeitungsleuten reden – hast einen gesehen, haste alle gesehen. Dazu meine Komplexe, weil ich selbst sogar noch langweiliger bin. Also hoffe ich im Grunde bloß darauf, nicht eingeladen zu werden, um hinterher die beleidigte Leberwurst zu spielen. Für mich ist nur dann alles gut, wenn ich mich beschweren kann.
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