Autoliebe Gartenzwerge gegen Goldkettchen mit Kopftuch

Deutsche und Türken diskutieren In Unna über 40 Jahre alte Klischees. „Distanziertheit ist uns anerzogen worden“, glaubt eine ehemalige Sonderschul-Lehrerin und will sich ändern: In ihrer Freizeit wird sie türkischen Kindern Deutschunterricht geben

UNNA taz ■ Fünf Türken sind gekommen und doppelt so viele Deutsche. Sie hören zu, was Züleyha Mau erzählt – über die Entstehung ihres Buches „Tüpisch“, über die begleitende Ausstellung, über ihre Erkenntnisse, warum und wie Vorurteile entstehen. Titel des Vortrags: „Sein und Schein in Sachen Typisch“.

Deutschland zur Zeit des „Wirtschaftswunders“: In Europa werden Arbeitsmigranten angeworben. Sie kommen aus Italien, Spanien, Portugal und Jugoslawien. Später aus Griechenland und der Türkei. In Kontakt mit Deutschen kommen sie selten. „Die Deutschen hatten keine Erfahrung mit Ausländern“, erzählt Züleyha Mau: „Die erste Generation der Einwanderer hat sich daran nicht so sehr gestört. Ihnen fiel es schwer, sich mit Deutschland zu identifizieren.“ 1973 soll die Einwanderung aufgehalten werden – per Anwerbestopp. Die meisten Türken bleiben, rund 250.000 kehren zurück. „Viele von ihnen sind in der ehemaligen Heimat nicht mehr zurecht gekommen. Sie und die Türkei hatten sich verändert“, sagt Mau.

Die Situation in Deutschland verändert sich: Frauen und Kinder kommen aus der Türkei nach. Die „zweite Generation“ sucht Anschluss, hin- und hergerissen zwischen türkischer Tradition und deutscher Gesellschaft. Viele der Unterschiede bleiben bis heute hartnäckige Klischees. Züleyha Mau nennt Beispiele: Der Deutsche sei mehr Auto- als Kinderliebhaber, Ordnungsfetischist, Besitzer von Dackel und Gartenzwergen. Nicht weniger festgefahren die Vorstellungen vom „typischen Türken“: Er trinkt Tee, trägt riesige Ketten aus Gold, seine Frau ein Kopftuch. „80 Prozent der Frauen, die ich kenne, tragen das freiwillig“, sagt Züleyha Mau. Zum Teil weil sie es leid seien, auf der Straße angemacht zu werden. Die Dozentin zieht selbst eins an, zeigt Varianten, es zu tragen. „Finden Sie nicht, dass ich jetzt weniger attraktiv aussehe?“, fragt sie in die Runde. Nicken.

Die Klischees halten sich wie das Problem der Kontaktaufnahme. „Ich war Sonderschul-Lehrerin, habe viele türkische Kinder kennengelernt, aber mich hat nie eine Familie eingeladen“, sagt eine Frau. Ein türkischer Zuhörer gibt den Tipp, selbst die Initiative zu ergreifen: „Angenommen, neben Ihnen ziehen türkische Nachbarn ein: Gehen Sie selbst hin und fragen, ob sie ihnen helfen können!“ – „Das kann ich nicht. Wenn da noch alles unordentlich ist, stört man doch. Diese Distanziertheit ist uns anerzogen worden“, sagt die Lehrerin. Züleyha Mau zögert nicht: „Ich lade Sie ein!“

Einig ist man sich darüber, wie wichtig die Sprache ist: Je besser die Sprachkenntnisse, umso leichter fällt die Integration. „Es ist ein Manko, dass man in der Schule kein Türkisch lernen kann“, sagt eine Frau aus Slowenien.

Draußen ist es dunkel geworden. Die Mitarbeiter der Stadtbibliothek wollen Feierabend machen. Deutsche und Türken sind ins Gespräch gekommen: „Meinen Sie das wirklich ernst?“, fragt die Frau aus Slowenien. „Ja, ich würde den türkischen Kindern in meiner Freizeit Deutschunterricht geben“, antwortet die Sonderschul-Lehrerin.

SEBASTIAN KORINTH