Kommune bis zum Tod

In NRW erleben SeniorInnen-WGs einen Boom

Noch sind sie eine Minderheit. Aber sie liegen voll im Zeitgeist. Immer mehr Menschen wollen nicht in ein Altenheim, geschweige denn in einer Pflegestation landen. Sie träumen vom selbst organisierten Leben bis zum Tod, von einem Generationen übergreifenden Wohnen mit Freunden oder Familie und gegenseitiger Hilfe. Am Wochenende trafen sich Vertreter von rund einem Dutzend Wohnprojekten aus NRW in Köln. Anlass war der 20. Geburtstag des Kölner Vereins „Neues Wohnen im Alter“. Er berät über den barrierefreien Umbau von Wohnungen für Alte und Behinderte und hilft durch den Förderungsdschungel.

1981 wurde in einem besetzten Haus in Bielefeld die bundesweit erste Wohngemeinschaft für Jung und Alt gegründet – sie besteht noch heute. Seitdem gilt NRW als führend auf diesem Gebiet. 1996 gab es zwischen Rhein und Weser 12 realisierte Projekte, 2004 über 50. Auf rund 1.000 schätzt Gerda Helbig vom bundesweiten „Forum Gemeinschaftliches Wohnen“ die Zahl der Gruppen, die in NRW diese Art des Wohnens umsetzen wollen.

Die Regel ist eine Hausgemeinschaft mit Gemeinschaftsräumen. Doch die Vielfalt ist groß. Während einige Projekte Eigentums- und Mietwohnungen unter einem Dach vereinen, setzt „Villa anders“ allein auf Miete, findet eine Mischfinanzierung zu schwierig. Spannend könnte es im ehemaligen Bonner Karmeliterinnenkloster werden: Dort hat ein Bewohner gleich sechs Wohnungen gekauft.

Die Alten-WGs sind unterschiedlich: Zwar wollen alle den Generationenmix, Kinder eingeschlossen. Doch betont „philia“ christliche Werte, „Villa anders“ (beide Köln) richtet sich an Schwule und Lesben, der Beginenhof (Köln und Dortmund) nur an Frauen. Hier hat sich auch eine „50 plus“-Initiative mit Menschen jeden Alters zusammengefunden, die an multipler Sklerose erkrankt sind.

„Hier will ich nicht mehr ausziehen“, sagen viele, die in ein derartiges Wohnprojekt einziehen. Gegenseitige Hilfe und ambulante Pflegedienste sollen die Verlegung in ein Pflegeheim verhindern. „Bei uns ist schon eine ganze Generation gestorben“, erzählt Theresia Brechmann, „aber keiner musste in ein Pflegeheim“. Das Urgestein der Bielefelder Wohngemeinschaftsbewegung, seit 1981 dabei, ermutigt andere, es ihr gleich zu tun. „Macht keine festen Regeln“, empfiehlt sie. Und weiter: „Stellt die Menschen, die Hilfe brauchen, in den Mittelpunkt. Verzichtet auf Gleichschalterei, nicht jeder kann alles.“

Stand das Bielefelder Modell damals noch allein auf weiter Flur, haben inzwischen auch Wohnungsgenossenschaften die neuen Wohnwünsche erkannt. 1996 wurde das Kölner „Haus Mobile“ vom Land Nordrhein-Westfalen als Pilotprojekt gefördert. Inzwischen gibt es – bundesweit einmalig – gleich von drei Ministerien Fördergelder. Kay Noell vom Düsseldorfer Bauministerium ist überzeugt, dass auch die neue schwarz-gelbe Landesregierung die „steigende Nachfrage“ nach einer Alternative zum klassischen Altenheim mit Pflegestation unterstützen wird. JÜRGEN SCHÖN