die woche in berlin
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Der rot-rot-grüne Senat verabschiedet den Doppelhaushalt, das Zweck­entfremdungsverbot wird neu verhandelt, Israel-Hasser verbrennen Fahnen und Ken Jebsen erhält einen obskuren Preis

Hass und legitime Kritik

Nach der Anti-Israel-Demo in Neukölln

Auch das darf man ruhig mal deutlich sagen: Es gibt eine Menge Arschlöcher in Neukölln. Es gibt Menschen, die Menschen mit Migrationshintergrund hassen und Einwanderer, die andere Einwanderer oder die Eingeborenen verabscheuen. Es gibt Menschen, die sich eine Nazidiktatur wünschen und deshalb Gedenksteine stehlen, die an Opfer der Nazidiktatur erinnern, oder Autos der Gegner ihrer rechtsradikalen Ideologie anzünden. Es gibt Menschen, denen es beim besten Willen nicht gelingen mag, Tätern aus diesem rechtsradikalen Milieu auf die Spur zu kommen. Es gibt Männer mit Migrationshintergrund, die Frauen mit Migrationshintergrund U-Bahn-Treppen hinuntertreten. Es gibt Menschen, die junge Männer nichtdeutscher Herkunft auf offener Straße erschießen oder ungestraft erstechen. Es gibt Antisemiten und Israelhasser. Aber es gibt auch viele, die sich gegen all das einsetzen und engagieren.

Moment: Soll hier etwa relativiert werden? Ja! Wobei eins klar ist: antisemitische, israelfeindliche Hassparolen oder das Verbrennen von Fahnen anderer Staaten auf Demos wie zuletzt gehen gar nicht. Das kann nicht geduldet werden. Aber: Solcher „widerwärtiger Antisemitismus“, wie manche Zeitungen schrieben, ist zwar in manchen gesellschaftlichen Gruppen erkennbar stärker als in anderen verbreitet, doch er zeichnet ebenso wenig wie „die Deutschen“ die palästinensisch- oder gar arabischstämmigen BerlinerInnen als Ganze aus. Auch auf den Demonstrationen arabischstämmiger Berliner gegen den Beschluss von US-Präsident Donald Trump, Jerusalem als Hauptstadt Israels anzuerkennen, forderten Veranstalter und TeilnehmerInnen den Verzicht auf solche Aktionen.

Solche Zuschreibungen zu benutzen, um ganze Gruppen, die durch Religion, ethnische oder sprachliche Herkunft verbunden sind, zu dämonisieren, dient nur dem Zweck, auch ihrer möglicherweise berechtigten Kritik, ihren politischen Argumenten gar nicht erst zuhören zu müssen. Alke Wierth

Ein Schlupfloch bleibt offen

Verbot von Ferienwohnungen

Es ist schon erstaunlich, welche Meldungen eine Gesetzesnovelle zur Folge haben kann. Am vergangenen Mittwoch stellte Stadtentwicklungssenatorin Katrin Lompscher (Linke) die Novelle des, Achtung, Wortungetüm: Zweckentfremdungsverbotsgesetzes vor. Die Schlagzeilen lauteten danach entweder „Senat will das Ferienwohnungsverbot lockern“ oder „Senat verschärft Kampf gegen Ferienwohnungen“.

Tatsächlich besteht die Novelle, die der Senat zur Kenntnis genommen hat und nun im Rat der Bürgermeister diskutiert werden soll, aus zwei wesentlichen Neuerungen. Zum einen können Bezirke bei Eigentümern, die ihre Wohnungen spekulativ leer stehen lassen, künftig einen Treuhänder einsetzen, der Wohnungen instandsetzt und vermietet. Diese Ersatzvornahmen werden dem Eigentümer anschließend in Rechnung gestellt. Bleibt dieser bei seiner unkooperativen Haltung, kann der Besitz ganz zum Treuhänder wechseln. Ein solches Vorgehen, schätzt die Senatorin, würde etwa eine niedrige zweistellige Zahl von Häusern in Berlin betreffen.

Soweit die Verschärfung, aber es gibt in der Tat auch eine Erleichterung. Sie betrifft all die Home-Sharer, die ihre Wohnung nicht länger als zwei Monate im Jahr vermieten. Das ist künftig legal und bedarf auch keiner Genehmigung. Man muss die Vermietung lediglich dem Bezirksamt mitteilen. Mit dieser Regelung kommt der Senat denen entgegen, die keine gewerbliches Geschäft mit Ferienwohnungen betreiben, sondern sich ein paar Euros dazuverdienen wollen, um die ohnehin teuren Mieten bezahlen zu können.

Eines freilich schafft das neue Gesetz, das zum 1. Mai nächsten Jahres in Kraft treten soll, nicht. Wer seine Zweitwohnung gewerblich vermietet, kann auch weiterhin nicht belangt werden. Die Rechtsabteilung der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung begründet das so, dass eine Zweitwohnung qua definitionem dem Wohnungsmarkt nicht zur Verfügung stünde.

Was aber, wenn künftig Zwei- und Drittwohnungen alleine zum Zwecke der Zweckentfremdung angemietet werden? Ist da dem Missbrauch nicht Tür und Tor geöffnet? Immerhin: Jeder Inhaber einer Zweitwohnung muss nachweisen, dass er zehn oder 20 Tage im Jahr dort selbst wohnt, heißt es aus Senatskreisen. Die 60 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die das Zweckentfremdungsverbot überwachen, sollten deshalb auch die Zweitwohnungen im Blick haben. Uwe Rada

Sozial? Vor allem rhetorisch

Neuer Doppelhaushalt verabschiedet

Sozialpolitik ist der kleinste der fünf Themenbereiche

Es scheint ja so naheliegend: Kaum darf eine rot-rot-grüne Koalition über den Haushalt entscheiden – und ist dann auch noch, anders als in den letzten Jahren, ein bisschen Geld da – geht es voran mit der Armutsbekämpfung in dieser Stadt. Sozialpolitik wird ein Schwerpunkt, die Lage der Armen und Ausgegrenzten deutlich verbessert, die Millionen fließen in Projekte, die die auch in Berlin gewaltig klaffende Schere zwischen Arm und Reich schließen soll. Mietobergrenzen im ehemaligen sozialen Wohnungsbau, ein günstigeres Sozialticket für die BVG, mehr Schlafplätze für Obdachlose – sind das nicht die Vorhaben, die in den letzten Monaten besonders viel Aufmerksamkeit auf sich gezogen haben?

Ja, sie sind es. Dass die aktuelle Regierung einen Schwerpunkt auf Sozialpolitik setzt und diesen vor allem auch finanziell unterfüttert, ist trotzdem höchstens die halbe Wahrheit. Zwar ist der Bereich Soziale Infrastruktur/Armutsbekämpfung einer von fünf Schwerpunkten des neuen Doppelhaushalts, den das Abgeordnetenhaus am vergangen Donnerstag beschlossen hat.

Doch er ist auch der kleinste dieser fünf Themenbereiche: Rund 22,5 Millionen Euro sind hier für die nächsten beiden Jahre eingestellt – insgesamt hat der Doppelhaushalt ein Volumen von fast 60 Milliarden Euro. Zum Vergleich: Der größte der Schwerpunkte, der Bereich Mobilität/Ökologie bekommt fast 154 Millionen Euro, gefolgt von Bildung mit rund 150 Millionen Euro. Selbst wenn man argumentieren kann, dass Soziales ein Querschnittthema ist und auch Investitionen in anderen Bereichen die Lage armer Menschen verbessern können – eine Priorität auf diesem Thema sieht anders aus.

Insbesondere die Linkspartei versteht es, für die sozialpolitischen Vorhaben der Koalition viel Aufmerksamkeit zu gewinnen. Leicht verständliche Projekte wie das günstigere Sozialticket oder die Erhöhung der Plätze für die Kältehilfe sind dafür besonders gut geeignet. Das ist nicht falsch, darf aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass dieser Schwerpunkt bisher vor allem ein rhetorischer ist – von einer echten Priorität auf Armutsbekämpfung ist auch dieser Senat weit entfernt.

Malene Gürgen

Wenn Linke nicht mehr links sind

Das Weltbild der Fans von Ken Jebsen

Sie singen die Internationale, verleihen Preise mit Karl-Marx-Konterfei, schwenken Fahnen mit der Friedenstaube, ganz klar, das müssen Linke sein. Angesichts dieser Insignien gibt es eigentlich keine Zweifel an der politischen Gesinnung derjenigen, die am vergangen Donnerstag in und vor dem Kino Babylon zusammengekommen sind. Die Fans des Medienmachers Ken Jebsen, die einer Preisverleihung an den „mutigen Journalisten“ beiwohnen und zuvor demonstrieren wollten, betrachten sich als „Friedensbewegung“ und Verteidiger der Meinungsfreiheit.

Es gibt keine Zweifel, dass sie sich selbst als Linke sehen. Wie überhaupt, Zweifel dieser „Bewegung“ ziemlich fremd sind. Sie sind die Guten, die Unverstandenen, die Kleingehaltenen. Und auch die Rollen der Bösen sind vergeben: Es sind die etablierten Medien, von den GEZ-Sendern bis zur Jungen Welt, die USA und Israel, die politischen Parteien und das parlamentarische System, und im konkreten Fall Kultursenator Klaus Lederer (Linke). All die, soviel ist klar, stehen im Dienste der Waffenlobby und der Nato.

Es ist ein Glück für die Bewegten, dass sie linke Kronzeugen haben, Mitglieder der Partei Die Linke, wie der Exabgeordnete Wolfgang Gehrcke, die mit ihnen solidarisch sind – noch so ein linker Wert. Oder Oskar Lafontaine, der ihnen beisteht mit seinem Verdikt „Begriffe wie ,Verschwörungstheoretiker‘ oder auch ,Querfront‘ stammen aus dem Arsenal der Geheimdienste“. Kritik erkannt, Kritik gebannt.

Doch genau hier offenbart sich das Problem der Szene: Die verlorene Fähigkeit komplexe Zusammenhänge zu erkennen und die Verhältnisse angesichts systeminhärenter Prozesse zu bewerten. Politische Entscheidungen fallen nicht allein deshalb, weil die Mächtigen böse sind. Und sie fallen nicht, weil die eigentlich Mächtigen dunkle Gestalten im Hintergrund sind. Nicht jeder Feind des eigenen Feindes kann ein Freund sein. Wo dieses Differenzierungsvermögen verloren geht, wo die Welt nur noch hell oder dunkel ist und Widersprüche ausgeblendet werden, löst sich der Abstand zwischen links und rechts und die moralische Überlegenheit der politischen Linken auf. Da helfen auch die schönen Insignien nichts. Erik Peter

„Ganz klar, das müssen Linke sein“

Erik Peterüber die Fans von Medienmacher Ken Jebsen